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Archiv-Artikel

„Quadratisch, praktisch, gedopt“

Degenfechterin Imke Duplitzer will morgen endlich eine olympische Einzelmedaille. Vorher spricht sie über Olympia als „Musikantenstadl des Sports“ und verdächtig aussehende Sportlerkollegen

IMKE DUPLITZER, 33, ist Hauptfeldwebel der Bundeswehr, Degenfechterin, bekennende Lesbe und lauteste Kritikerin unter Deutschlands Olympioniken. Morgen ab vier Uhr will die Vizeweltmeisterin und Europameisterin endlich ihre erste olympische Einzelmedaille erfechten.

INTERVIEW MARKUS VÖLKER

Imke Duplitzer hat sich in der Fechthalle mit einer Ägypterin zum Degen-Training verabredet. Es ist Montag, noch zwei Tage bis zu ihrem Wettkampf. Weil die Nordafrikanerin auf sich warten lässt, plaudert sie mit einem australischen Coach, dem sie erklärt, wie man im Olympischen Dorf an Bier kommt und warum sie widerwillig zu McDonald’s gegangen ist. „That’s Imke“, sagt der Coach und lacht.

taz: Frau Duplitzer, Sie scheinen in der Fechtszene eine Marke zu sein: „That‘s Imke“!?

Imke Duplitzer: Es gibt nichts, was ich im Dorf nicht organisieren könnte. Ich bin ja ziemlich umtriebig und seit 16 Jahren dabei. Und für ein Bierchen tut man ja einiges.

Sie sind seit knapp einer Woche in Peking. Wie ist es denn so im Kreis der großen olympischen Familie?

Es ist schon schön. Wenn ich den Italiener sehe …

Italiener?

… Matteo Tagliariol, der Gold mit dem Degen gewonnen hat, dann ist das wunderbar. Dem habe ich den Sieg richtig gegönnt. Ich habe mich sooo sehr für ihn gefreut. Rein sportlich ist es toll, aber wenn ich die Funktionäre des Deutschen Olympischen Sportbundes sehe, die überhaupt keinen Bezug zum Ereignis haben, dann vergeht es mir. Die produzieren sich doch nur selbst. Wenn du olympisches Feeling haben willst, dann musst du nur mit Athleten abhängen.

Zum Beispiel in der Mensa, die ja so kommunikativ sein soll.

Die Mensa ist der soziale Treffpunkt, aber wenn ich noch weitere sechs Tage Peking-Ente esse, dann krieg ich Federn. Ich kann auch keinen warmen Reis mehr sehen. Deswegen der Ausflug zum Fast Food. In der Mensa kann man übrigens prima Sportarten-Raten machen. Welcher Athlet macht was? Die Basketballer erkennt man schnell, auch die Gewichtheber, die Ritter-Sportler: quadratisch, praktisch, gedopt. Bei uns wissen die anderen aber nie, was wir machen. Wir sehen so normal aus. Das Ganze hat schon was. Es ist für mich ein Familientreffen.

Wenn nur die Funktionäre nicht wären.

Die verwalten dieses olympische Gefühl nur noch. Sie leben es nicht mehr. Sie sichern ihre Posten. Das ist grauenvoll. Wie im Sozialismus. Der ist auch totverwaltet worden.

Haben Sie diesen Eindruck auch von den Spielen in Peking?

Das nicht, aber wir leben hier in einer absoluten Parallelwelt. Alles ist superkommerzialisiert und superorganisiert. China erscheint mir als das Land des eingefrorenen Lächelns. Es gibt eine schöne Geschichte zum Organisationswahn: Jeder Bus hat hier ein menschliches Navigationssystem mit an Bord, also einen chinesischen Volunteer. Der kam am ersten Tag zu unserer Physiotherapeutin und sagte: „Please prepare for arrival!“ Die hat ihn etwas verwundert angeguckt. Er sagte dann: „Do you know the way out of the bus?“

Es ist doch nur nett gemeint!

Ja natürlich, aber es kommt so extrem programmiert daher. An jeder Ecke steht einer, der sagt: „This way please!“ Vielleicht muss man einen Computer-Virus in dieses Programm der Olympia-Organisatoren einschleusen, um für ein bisschen Turbulenzen zu sorgen.

Und draußen, außerhalb des hermetischen Olympischen Dorfes, finden Sie es da ähnlich?

Ich habe den Eindruck, dass vieles weggesperrt wurde, was man nicht sehen darf. Aber draußen sieht man viele freundliche Pekinger, die einfach nur neugierig sind und auf eine natürliche Weise freundlich. Es gibt das Olympia, das auf Hochglanz poliert wurde, das surreale Spiel unter den fünf Ringen, es gibt aber auch noch das Urwüchsige in der Stadt. Doch Olympia hinter den Absperrungen ist optimal geschmacksneutral: mittlerweile nur noch ein Musikantenstadl des Sports. Oder wie Karneval: befohlen freundlich.

Was meinen Sie damit?

Die Spiele lebten immer davon, dass es die eine oder andere liebevolle Panne gegeben hat. Das wirst du hier nicht sehen.

Doch. Beim Basketball-Spiel der US-Boys gegen China ist ein Olympiamaskottchen auf Stelzen böse hingefallen.

Oh. Das habe ich nicht gesehen. Aber im Großen und Ganzen wird penibel auf alles geachtet. Es gibt ein Heer von Helfern. Es gibt den Putzdienst, das sind die Weiß-Roten. Dann die Gärtner, die sind grün gekleidet mit einem Smiley-Sticker am T-Shirt. Die schneiden mit Akribie braune Blätter aus den Bäumen. Irre. Aber den Baum vor meinem Fenster, den haben sie noch nicht gefunden. Da sind noch vier braune Blätter dran. Für mich ist das zu perfekt. Interessant sind auch die Spruchbänder überall auf den Brücken. Da steht drauf: „Jeder ist ein Gastgeber, alle bauen das neue Peking auf“.

Woran erinnert Sie so ein Slogan?

An den Osten. Kollegen kennen das ja noch aus einem gewissen totalitären Staat. Die durchblättern dann die zensierten Zeitungen, zum Beispiel China Daily, und sagen: „Lesen wir doch mal ein bisschen Agitation. Ist ja wie früher.“ Es entwickelt sich so eine Art Galgenhumor.

Haben Sie sich beim Surfen im Internet zensiert gefühlt?

Ich wollte auf einen Artikel in der Zeit über China zugreifen. Da hat sich permanent mein Computer aufgehängt. Ansonsten hatte ich keine Probleme.

Sie haben die Eröffnungsfeier boykottiert, aus Protest gegen Chinas Tibetpolitik. Hat es Sie gereut, dass Sie nicht dabei waren bei dieser spektakulären Show?

Nein, das war ja klar, dass es die größte, beste, geilste, spektakulärste, aufgehypteste Show wird. Was haben Sie erwartet?

Gute Unterhaltung.

Und dafür wollte ich mich nicht hergeben, obwohl ich als Sportler gern dabei gewesen wäre. Nicht aber als politisch denkender Mensch.

Sehr viele Proteste gegen Chinas Tibetpolitik hat es ja nicht gegeben. Auch die Wasserballer haben von ihrer Aktion, orangene Bademäntel zu tragen, abgesehen.

Das ist ja ein politisches Statement und vom IOC verboten. Hätten es die Wasserballer darauf ankommen lassen sollen? Das wäre doch Wahnsinn gewesen. Der Sportler bewegt sich hier in einem Dschungel von Verboten. Das ist so unendlich kompliziert für einen Athleten, der nur seinen Sport machen soll. Viele junge Athleten sind hier, die noch dabei sind, sich selbst zu finden. Da kann man von ihnen kaum verlangen, politisch pointierte Aussagen zu treffen. Trotzdem ist es schade, dass ich fast allein dastehe mit meiner Kritik.

Werden Sie deswegen angefeindet?

Ich kriege unschöne Mails. Man wünscht mir, dass ich in der ersten Runde ausscheide. Man wünscht mir die Pestilenz an den Hals. Es gibt immer diese Wahnsinnigen, die sich durchs Internet fummeln, sich die Mühe machen, meine E-Mail-Adresse herauszubekommen, und dann zuschlagen. Wenn man sich als Athlet erhebt aus der Masse in dieser sportlichen Disney-World, dann muss man ein verdammt breites Kreuz haben.

Gab es auch Zuspruch?

Ja, sehr viel, weltweit.

Wie ist das, wenn Sie deutschen Funktionären wie dem Chef de Mission, Michael Vesper, oder IOC-Vize Thomas Bach über den Weg laufen?

Ich bin Michael Vesper mehrmals im Olympischen Dorf begegnet. Er hat mir das Du angeboten, ich habe aber abgelehnt. Ich habe ein Nicht-Verhältnis zu ihm. Er vertritt mich nicht, er ist nur Delegationsleiter der deutschen Mannschaft, mehr nicht.

Er hat die chinesische Internetzensur indirekt gerechtfertigt.

Das war ein rhetorischer Schnitzer. Der Herr Vesper verhaspelt sich halt manchmal. Aber er ist nicht allein. Die Rolle des IOC bei der Internetzensur ist doch auch erbärmlich. Die wussten doch von Anfang an, dass die Chinesen keinen freien Zugang garantieren, und jetzt heuchelt das IOC eine gewisse Naivität – nach dem Motto: Damit konnten wir nicht rechnen, wir haben unser Möglichstes getan.

IOC-Chef Jacques Rogge hat gesagt: Wir sind alles Idealisten, und dazu gehört auch ein Schuss Naivität.

Also bitte schön! Plötzlich sind sie naiv, aber wenn es darum geht, einen neuen Sponsorvertrag mit der Firma X, Y oder Z abzuschließen, sind sie wieder abgezockt wie eh und je. Das stimmt doch etwas nicht!

Das IOC ist in Rechtfertigungsnöten.

Sie suchen nach einer Ausrede. So wie wenn ich sage: Ich habe heute verloren, weil ich die falschen Socken anhatte. Je höher man sich in der Funktionärshierarchie gearbeitet hat, desto billiger können offenbar die Ausflüchte sein. Ich bin der Meinung, dass das IOC aus dieser Sache nicht ohne Gesichtsverlust herauskommt. Nach ihrem Lavieren in der Tibetfrage, internen Maulkorberlassen und dem Aussitzen der Internetzensur haben sie ein paar Kratzer im Lack, ach was, eine richtige Delle. Vielleicht merken es auch künftig die Großsponsoren: Die Hüter der heilen Sportwelt sind keine Musterknaben. Diese Leute sind nicht dem freiheitlichen Geist verpflichtet.

Sondern?

Kommerz und Machterhalt.