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Archiv-Artikel

Die totale Zeitverschwendung

Ex-Documenta-Teilnehmerin Mariella Mosler hat 500 Kilo Liebesperlen in den Hof des Hamburger Ernst-Barlach-Hauses geschüttet und daraus einen Teppich mit archaischen Ornamenten gemacht. Eine interessante Spannung zwischen Material und Thema

Warum Mariella Mosler keinen Sand genommen hat? Sehr einfach: weil der Elbsand hier so nah ist. „Ich fürchtete, dass meine Kunst dann nicht so abstrakt gelesen würde, wie ich es mir vorstelle.“ Da hat sie für ihre Bodeninstallation also Liebesperlen benutzt, die 1962 in Oldenburg geborene Künstlerin, die derzeit im Hamburger Barlach-Haus ausstellt.

Richtig berühmt ist sie 1997 durch die Documenta X geworden, auf der ihre Bodeninstallation aus Quarzsand gezeigt wurde: vergänglich und ewig während zugleich. Zwar waren die feinen Muster schnell wieder weg. Die Erinnerung der Besucher währt aber bis heute. Ein bisschen sind ornamentale Bodeninstallationen seither ihr Markenzeichen geworden. Oft hat man ihr unterstellt, dass sie japanische Gärten zitiere. Eine Affinität lässt sich auch nicht leugnen, hat Mosler doch kürzlich wieder eine Sand-Installation in Japan gefertigt.

Auch für Hamburg gibt es jetzt also eine Boden-Installation, einem fein gekörnten Teppich gleich. Déjà-vu, denkt man zunächst – doch die Arbeit enthält eine Ebene, die den Sandarbeiten fehlt: jene süffisante Ironie, die sich aus der Verknüpfung von Material und Motiv ergibt. Das Motiv: ein sternförmiges Achsenmuster, das sich in Renaissance-Gärten, in islamischen Mosaiken und im Grundriss europäischer Festungen seit dem 15. Jahrhundert findet.

So weit, so historisch. Aber dann das Material: Liebesperlen, ausgerechnet. Warum? „Weil ich mich in den letzten Jahren mit Fetischismus befasst habe“, sagt die Künstlerin. „Dazu zählt auch die Liebesperle: Schon das Wort weckt starke Assoziationen – an Liebestrank, Liebeszauber, Magie. Dabei ist diese Bezeichnung durch nichts gerechtfertigt. Überhaupt ist die Liebesperle ein vollkommen unsinniges Produkt!“ Extrem vergängliche, essbare Kügelchen illustrieren also Jahrtausende alte Muster. Aber werden die dadurch wirklich banal? Oder wirken die umso ehrwürdiger, je seichter das Material ist? Ein merkwürdiger Subtext; im übrigen eine extreme Zeitverschwendung , 500 Kilo Liebesperlen auszustreuen, die nur wenige Woche daliegen. Aber genau das interessiert Mosler: „Alles – auch unsere Freizeit – unterliegt ökonomischen Überlegungen. Diese Installation aber erzeugt keinen ökonomischen Mehrwert, allenfalls ein Erinnerungsbild.“ Und auch auf das verlässt sich die Künstlerin lieber nicht: „Ein gutes Foto sollte schon sein.“

Ein bisschen ist auch sie dem Fetisch Liebesperle erlegen, sonst hätte sie die nicht gesammelt und so zahlreich verarbeitet. Solche Dinge habe auch der kluge Marx nicht vorher gesehen, sagt sie: „Dass der Mensch trotz allem irrational bleibt.“ Zum Beispiel, wenn es darum geht, herzförmige Kartoffeln aufzubewahren. „Das tun alle, denn: eine so perfekte Form muss ja etwas bedeuten, denkt jeder.“ Ja, auch sie selbst hat gleich mehrere solcher Kartoffeln aufbewahrt. Und dann Silbergüsse davon gefertigt und auf zylinderförmigen Ständern im Barlach Haus aufgestellt. Sie wolle keine Fetische zeigen, sagt sie. Trotzdem wirken die Silberherzen wie Reliquien, wie sie da so aufgereiht auf einem Brettchen stehen. Der zur Abstraktion gedachte Ständer hilft nicht viel, die Wirkung: recht dekorativ. „Es ist erstaunlich, wie präsent der Fetisch heutzutage noch ist“, sagt Mosler nur.

Damit meint sie auch die Maske, ihr zweites Sammel- und Studienobjekt der letzten Jahre. Die Resultate präsentiert ein silbern tapezierter Raum im Barlach-Haus, dessen Exponate aus Müll bestehen: Plastik, Luftpolsterfolie, Schaumstoff, Hundebälle hat sie aufgelesen, angekokelt, geknetet und Grimassen draus gemacht. Natürlich, sagt Mosler, sei da auch eine große Portion Spiellust gewesen. „Ich wollte unaufwendig herstellbare Objekte schaffen, die mit aggressiv wenigen Effekten arbeiten“, sagt sie. „Und ich wollte herausbekommen, ab wann ein Ding als Gesicht gilt. Dafür bedarf es nur dreier Punkte in bestimmter Anordnung. Ein archaisches Prinzip.“ PETRA SCHELLEN

Die Ausstellung ist bis 12. 10. im Hamburger Ernst Barlach Haus zu sehen