: Fast so schön wie das erste Gold
Britta Steffen hält auch über 50 Meter Freistil die Konkurrenz in Schach und steht noch einmal ganz oben auf dem Treppchen. Abseits der Steffen-Show benennt der DSV nach dem Peking-Debakel einen neuen Sportdirektor
PEKING taz ■ Britta Steffen hat ihre Sprache wiedergefunden. Vor ihrem historischen Sieg über 100 Meter Freistil am Freitag, dem ersten Gold für einen DSV-Schwimmer seit 16 Jahren, hatte sie nur das Allernötigste gesagt, unterhielt sich vor allem mit ihrer Psychologin Friederike Janofske. Der erste Sieg in Pekings Schwimmtempel lockerte ihre Stimme bereits deutlich. Und als Steffen gestern Vormittag auch noch vor den beiden US-Amerikanerinnen Dara Torres und Cate Campbell über 50 Meter Freistil gewonnen hatte, war sie Entspannung pur.
Redete über das Stück Pizza, das sie sich am Samstag als Belohnung gegönnt hatte, über demokratisierte Verhältnisse bei ihrer Arbeit mit Heimcoach Norbert Warnatzsch – und wunderte sich über das Gewohnheitstier Mensch. „Leider tritt da auch eine Art Gewöhnungseffekt ein“, sagte sie und gestand sich ein: „So schön wie über 100 Meter war es nicht mehr, aber trotzdem schön.“ Vielleicht hat sie auch die Plauderei mit der 41-jährigen Mutter Dara Torres so cool gemacht. Diese hatte Steffen und der Australierin Lisbeth Trickett freundlich zugeraunt: „Mädels, denkt daran: Ein Kind zu bekommen ist viel härter als ein paar Bahnen zu kraulen.“
Nachher hatte Torres („Es ist hart, wegen einer Hundertstelsekunde Zweiter zu werden“) am knappen Ausgang des Rennens zu knabbern, Siegerin Steffen blickte derweil auf überaus gelungene Aufräumarbeiten im eigenen Sportlerleben zurück. In Sydney und Athen war sie jeweils als begnadetes Talent an- und als gedemütigte Athletin wieder abgereist. Nach den letzten Spielen hängte Steffen, noch keine 21, den Schwimmanzug an den Haken und stürzte sich in Berlin ins Studentenleben. Ein Jahr später stieg sie mit Warnatzsch wieder ins Training ein – und mit Psychologin Janofske in die eigene Vergangenheitsbewältigung. Nun ist Britta Steffen Doppelolympiasiegerin und rekapituliert: „Wir haben über 2000 und 2004 gesprochen – und alles verarbeitet.“ Das bedeutete bei ihr in erster Linie: Die Hemmschwelle zu überschreiten, „wenn der Kopf sich meldet und sagt: Du bist nicht stark genug, um gegen die Weltklasse zu bestehen.“ Inzwischen weiß sie: „Das war alles Schwachsinn. “
Schwer erschüttert wurde in Peking – abseits der Privatvorstellung von Steffen – das Vertrauen des DSV in seine Schwimmer und deren Betreuer. Neben Steffen schafften es bei 32 Entscheidungen allein die Frauenstaffel über 4 x 100 Meter Freistil und Paul Biedermann über 200 Meter Freistil ins Finale. Ein Desaster angesichts des Vorabkriteriums, nur Schwimmer mit realistischen Endlaufchancen nach China zu entsenden. Der Klage des zuständigen Sportdirektors und Cheftrainers Örjan Madsen, er habe zu wenig Einfluss auf starrsinnige Heimtrainer und die Leiter der diversen Stützpunkte gehabt, gab die DSV-Spitze inzwischen statt. „An Örjan Madsen lag es sicher nicht“, verabschiedete DSV-Chefin Christa Thiel den Norweger durchaus ehrenhaft. Und stellte gleich Lutz Buschkow, aktuell noch Cheftrainer der deutschen Wasserspringer, als neuen Sportdirektor des DSV vor.
Erste wichtige Aufgabe für Buschkow, dem jene Weisungsbefugnis für störrische Provinztrainer vertraglich zugesichert ist: Er muss rasch einen fähigen Chefcoach für die international abgehängten DSV-Schwimmer finden. Britta Steffen will von alldem aber erst einmal nichts hören. „Ich weiß noch nicht, ob das mein Ende als Schwimmerin war“, sagt die Doppelolympiasiegerin, völlig entspannt.
ANDREAS MORBACH