: Grundsätzliche Klärung verlangt
Weil Hamburgs Polizei bei Demonstrationen immer häufiger mit kaum begründete Einschränkungen und Auflagen durchsetze, ziehen die Anmelder mehrerer Umzüge vor Gericht
VON MAGDA SCHNEIDER
Die Ausgangslage ist pikant: Die Versammlungsleiter der Spontan-Demonstration wegen des Sturms der Roten Flora haben vor dem Verwaltungsgericht die Polizei verklagt. Der Grund: Die Polizei hatte die Demonstration am 6. Juli von Anfang an in einem Kessel durch das Schanzenviertel begleitet. Dafür habe es keinen erkennbaren Grund gegeben – und diese polizeiliche Behandlung hätte laut der politischen Vorgaben des schwarz-grünen Koalitionsvertrags zu unterbleiben gehabt. „Wir wollen jetzt im Hauptsacheverfahren eine grundsätzliche Klärung“, sagt Anwalt Marc Meyer. „Notfalls durch den Instanzenweg bis vors Bundesverfassungsgericht.“
Eine enge polizeiliche Begleitung von Demonstrationen dürfe „nur ausnahmsweise auf der Grundlage einer sorgfältigen Gefahrenprognose“ erfolgen – so steht es im Koalitionsvertrag. Dennoch kesselte die Polizei am 6. Juli. Insgesamt drei sogenannte Fortsetzungsfeststellungs-Klagen hat Meyer in den vergangenen Wochen beim Verwaltungsgericht wegen mehrerer Kessel-Demos eingereicht. Dabei geht es auch um schon zurückliegende Ereignisse: So mussten die Veranstalter der Demo gegen den Hamburger Asem-Gipfel am 28. Mai vergangenen Jahres den Protestmarsch vorzeitig abbrechen: Die Demonstration wurde seitlich von drei Ketten Uniformierter begleitet und war deshalbe beinahe unsichtbar für Passanten, an die sich der Protest ja eigentlich richtete.
Ähnlich war es am 15. Dezember 2007, als mehrere tausend Menschen für die Abschaffung des „Terrorparagraphen“ 129 a des Strafgesetzbuches – Bildung einer terroristischen Vereinigung – demonstrierten. Auch dieser Umzug wurde wegen des polizeilichen Spaliers abgebrochen.
„Wir wollen eine Begründung haben“, sagt Anwalt Meyer, „auf welcher Gefahrenanalyse diese Maßnahmen basierten.“ Bislang habe man dazu von der Polizei nie etwas schriftlich bekommen. „Es müssen aber konkrete Tatsachen für eine unmittelbare Gefahr vorliegen“, sagt der Jurist, um eine seitliche Begleitung versammlungsrechtlich zu rechtfertigen. Stattdessen sei es in Hamburg gängige Praxis, dass die Polizei bereits zu Beginn einer Demonstration routinemäßig Aufstellung nehme und dann beim Abmarsch sofort den ganzen Zug einschließe.
Ebenfalls geklärt sehen will Meyer die immer wiederkehrenden Auseinandersetzungen um das Tragen seitlicher Transparente, die länger sind als 1,50 Meter. Auch da bedürfe ein polizeiliches Verbot „einer konkreten Gefahrenlage“, sagt Meyer. Nicht ausreichend sei der Hinweis darauf, dass im Jahr 2005 ein Polizist aus der Deckung eines Transparentes heraus getreten wurde.
Bei der 129a-Demonstration im Dezember 2007 führte der Transparente-Streit sogar dazu, dass die Demo nach 20 Minuten von der Polizei gestoppt wurde – um Transparente auszumessen und tatsächlich ein Banner wegen einiger überzähliger Zentimeter zu entfernen. Die Auflage ist von den Verwaltungsgerichten – obwohl als Einschränkung der Meinungskundgabe durchaus anerkannt – wiederholt hingenommen worden: Die polizeiliche Gefahrenprognose, befanden die Richter in Eilverfahren, könne auf die Schnelle nicht überprüft werden.
Im Zusammenhang mit der Demonstration gegen den Neonazi-Aufmarsch am 1. Mai kassierte das Oberverwaltungsgericht die Anderthalb-Meter-Einschränkung jedoch: Dem Gericht war die Prognose – es sei einzukalkulieren, dass es durch Kleingruppen zum provokativen Verhalten gegenüber Einsatzkräfte komme – zu dünn, da auf bloßen Vermutungen basierend: „Diese Gefahrenprognose rechtfertigt nicht die mit der Beschränkung der Länge von Transparenten auf 150 Zentimeter verbundene Beschränkung der Versammlungsfreiheit.“
Auch Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem, zuständig zu Demonstrationsverfahren, hatte vor einem Jahr das Ausufern der polizeilichen Auflagenpraxis kritisiert. Der Hamburger hatte aber zugleich die Hoffnung geäußert, dass endlich mal ein Veranstalter ein Hauptsacheverfahren führt: Dann könne das Bundesverfassungsgericht ein Grundsatzurteil sprechen.