piwik no script img

Archiv-Artikel

China, ein sehr behutsamer Elefant

Bei den Spielen greift Chinas Taktik der „Soft power“ – eine politische Zwischenbilanz. Von THOMAS HEBERER

Chinesen müssten vom Ausland lernen, wie ihre eigenen Tugenden in die Tat umgesetzt werden könnten

Mit Beginn der Spiele ist wirksam geworden, was man in der internationalen Politik unter „Soft power“ (weiche Macht) versteht: die Fähigkeit von Staaten, das Denken und Verhalten von Individuen oder Gruppen in ihrem Sinne und Interesse zu beeinflussen. Bereits mit der bombastischen Eröffnungsveranstaltung, aber auch einer perfekten Organisation verblüfften die Organisatoren viele der ausländischen Gäste und Medienvertreter. Anschläge im weit entfernten Xinjiang oder Proteste westlicher Tibetaktivisten machten keine großen Schlagzeilen mehr. Dopingfälle betrafen bislang keinen chinesischen Sportler. China, das vor den Spielen noch als El Dorado des Dopings beschrieben worden war, hat sich bemüht, nur saubere Sportler zu nominieren. Parteichef Hu Jintao hatte das zur nationalen Aufgabe erklärt und jede Form von Doping verurteilt.

„Soft power“ ist gewaltlose Machtpolitik und wird von allen Staaten betrieben und wirkt im Falle Chinas auch nach innen. Aber das grundsätzliche Imageproblem Chinas im Westen ist dadurch nicht gelöst, weil zu erwarten ist, dass die Medien auch weiterhin nur eine Seite des Chinabildes zeigen, während dieses Bild doch viele und ganz unterschiedliche Konturen aufweist. Ja, es gibt die diabolische Seite der Menschenrechtsverletzungen, der Zensur, der Unterdrückung von Protesten und der Kaderwillkür. Wer aber nur diese Seite wahrnehmen will, übersieht die Erfolgsbilanz und die Richtung des Wandels: den Wandel Chinas von einem alles kontrollierenden und beherrschenden Staat der Mao-Ära, in dem es für die Menschen keinerlei Freiheiten und rechtliche Sicherheiten gab, zu einem Staatswesen, in dem ein relativ hohes Maß an individueller Freiheit herrscht und in dem die Menschen weitgehend selbständig ihr Leben gestalten können.

Mehr als 200 Millionen Menschen haben seit Ende der 1970er-Jahre die Armut abgestreift – zweifellos ein gewaltiger Beitrag zur Verbesserung der Menschenrechte. Zwar ist China noch immer ein Ein-Partei-System. Aber die Strukturen und die Funktionsweise des Systems haben sich verändert. Wir sollten nicht vergessen, dass viele der derzeitigen Probleme daraus resultieren, dass China noch immer ein Entwicklungsland ist, in dem Strukturen eines modernen Staates und Rechtssystems noch im Aufbau begriffen sind; zweitens resultieren viele Probleme aus dem Umbau von einer Plan- zu einer Marktwirtschaft. Die Suche nach Lösungen für die sozialen Probleme braucht Zeit.

Sun Yat-sen (1866–1925), einer der einflussreichsten chinesischen Staatsmänner des 20. Jahrhunderts, schrieb einmal, Menschlichkeit und Brüderlichkeit seien echte chinesische Tugenden. Chinesen müssten aber vom Ausland lernen, wie sie in die Tat umgesetzt werden könnten. Damit formulierte er ein Programm, das einer strategischen und gleichberechtigten Partnerschaft zwischen China und Europa heute zugrunde gelegt werden kann: Einerseits müssen die Industriestaaten auf die chinesische Herausforderung reagieren. Andererseits können dadurch neue Partnerschaften entstehen, die in gemeinsamer Verantwortungsethik an der Lösung globaler Probleme arbeiten. Eine strategische Partnerschaft – wie sie z. B. die EU vorsieht – erfordert, dass China bei seinem Umbau unterstützt und in internationale Diskussions- und Aushandlungsprozesse eingebunden wird. Europa sollte China dabei helfen, zivilisatorische Kompetenz auszubilden und international Verantwortung zu übernehmen. Dann könnten China und Europa gemeinsam darangehen, im Sinne Sun Yat-sens der Menschlichkeit und Brüderlichkeit ein Programm zu geben. Der Lerneffekt für China würde dann darin bestehen, globale Probleme gemeinsam mit anzupacken und zu lösen.

Prof. Thomas Heberer, 60, lehrt Politik Ostasiens an der Uni Duisburg-Essen. Er ist zudem Vorstandsmitglied der unabhängigen Asienstiftung