: „Wir haben Potenzial brach liegen lassen“
Der Begriff „Migrationshintergrund“ signalisiert in der Öffentlichkeit meist soziale Probleme. Professorin Manuela Westphal hat die Perspektive gewechselt: An der Uni Osnabrück untersucht sie Erfolgsbiographien von Migrantinnen
MANUELA WESTPHAL, Jahrgang 1964, ist seit 2003 Juniorprofessorin für Frauenforschung und Allgemeine Pädagogik an der Universität Osnabrück. Außerdem ist sie Mitglied am dortigen Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien
taz: Frau Westphal, was verstehen Sie unter einer „Erfolgsbiographie“ und wann sprechen Sie von „Migrantinnen“?
Manuela Westphal: Wir beschäftigen uns mit den Arbeitsmigrantinnen, die seit Mitte der 50er Jahre bis zum Anwerbestopp Anfang der 80er Jahre nach Deutschland gekommen sind und mit der dann folgenden Generation. Außerdem werden wir Aussiedlerinnen und Flüchtlingsfrauen befragen, um ein möglichst umfassendes Bild zu bekommen.
Beruflich erfolgreich sind diese Frauen, wenn sie dauerhaft einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, höhere Qualifikationsstufen erreichen oder sich selbständig machen – also erfolgreicher sind als der Durchschnitt ihrer Gruppe. Uns interessiert ihr Werdegang – vom Bildungsstand und Beruf der Eltern über die Kindergartensozialisation, Schule und Ausbildung bis hin zu Studium und Beruf. Im Mittelpunkt steht dabei immer die Frage, welche Faktoren für die Karrieren der Frauen besonders förderlich oder hinderlich waren.
Haben Sie davon schon genauere Vorstellungen?
Bis jetzt gibt es keine entsprechenden Studien, darum versprechen wir uns von dem laufenden Projekt erste wichtige Erkenntnisse. Es wurden allerdings schon Untersuchungen durchgeführt, die hochqualifizierte oder studierende Migrantinnen betrafen. Daher wissen wir, dass die Frauen ein hohes soziales und kulturelles Kapital mitbringen und vor allem sehr belastbar und motiviert sein müssen. Darüber hinaus brauchen Sie eine gute familiäre Unterstützung.
Welchen Umfang hat Ihr Forschungsprojekt? Wie gehen Sie vor?
Wir suchen in ganz Deutschland 30 Migrantinnen, mit denen wir ein etwa 90minütiges Interview durchführen. Mit ihnen erarbeiten wir Schritt für Schritt den jeweiligen beruflichen Werdegang, fragen nach staatlichen Hilfsangeboten, Finanzierungsmöglichkeiten, den Chancen, Beruf und Familie zu vereinbaren, Hindernissen und natürlich nach positiven Strategien.
Sind 30 Personen nicht sehr wenig?
Nein, es geht hier um eine qualitative Untersuchung, nicht um die Ermittlung von statistischen Mittelwerten. Wir können mit unseren leitfadengestützten Interviews eine sehr große inhaltliche Spannbreite abdecken.
Wo finden Sie denn Migrantinnen mit Erfolgsbiographien?
Das ist tatsächlich gar nicht so einfach, zumal sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen und den verschiedenen Gruppen zugeordnet werden sollen. Allerdings verfügen meine Kollegin Birgit Behrensen und ich über eine langjährige Erfahrung in diesem Bereich und gute Kontakte zu Selbstorganisationen von Migranten, Frauenvereinigungen, Vereinen und Verbänden. Da hat sich mittlerweile einiges bewegt, man könnte fast schon von einem Netzwerk sprechen. Hier stößt unser Projekt auf sehr positive Resonanz.
Wird Ihre Untersuchung zu Handlungsempfehlungen führen?
Da bin ich zuversichtlich. Bis zum Herbst sollen Ergebnisse vorliegen. Für mich steht jetzt schon fest, dass wir gerade im Bereich der hochqualifizierten Aussiedlerinnen ein riesiges Potenzial haben brachliegen lassen. Das kann sich Deutschland mit seinen großen Problemen im Bildungsbereich auf Dauer gar nicht leisten. Hier muss dringend etwas getan werden.
Interview: Thorsten Stegemann