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Archiv-Artikel

Fettiger Agent des Chaos

Binnen vier Wochen spielte der Batman-Film „Dark Knight“ in den USA den nach „Titanic“ zweithöchsten Umsatz der Kinogeschichte ein. Dank eines überragenden Heath Ledger. Die Präsenz des Verstorbenen überstrahlt einfach alles

Heath Ledger hat in „Dark Knight“ das Ultimative vollbracht: Er hat sich die Seele aus dem Leib gespielt

VON BARBARA SCHWEIZERHOF

„Was ist Ihr Vorschlag?“, wird der Joker in einer Art Planungssitzung, die er mit einer Gruppe von Finsterlingen abhält, gefragt. „Kill the Batman“, ist seine Antwort, und man muss diesen Satz im englischen Original hören, um zu erfassen, welche Beleidigung hier mitschwingt. Erstaunlich, was Nuancen in der Artikulation und das Hinzufügen eines Artikels bewirken können: Mit einem Male erscheint die titelgebende Hauptfigur der Serie, der glorreiche Superheld, reduziert auf einen recht blöden Namen: der Fledermausmann!

Nun steht natürlich von vornherein fest, dass Batman nicht sterben wird; schließlich sind die Verfilmungen viel zu erfolgreich, um nicht fortgesetzt zu werden. Doch wo das Vorhaben des Joker zum Scheitern verurteilt ist, hat Darsteller Heath Ledger das Seine vollbracht: Sein Joker ist in „Dark Knight“ die prägende und zentrale Figur. Auch wenn er „den Batman“ nicht killen kann, hat er ihn doch zur völligen Nebenfigur degradiert.

Sobald Heath Ledgers Joker auf der Leinwand erscheint, überstrahlt seine eigenartige Präsenz das im Drehbuch angelegte Drama, dessen Zentrum ja eigentlich Batman und sein innerer Konflikt sein sollen. Wie eine Unwucht bringt Ledgers Joker den nach herkömmlichem Muster gestrickten Handlungsverlauf erst zum Schwanken und dann nachhaltig aus dem Gleichgewicht. Für die meisten Filme wäre eine solche Performance unerträglich, aber aus „Dark Knight“ wird erst durch Ledgers Auftritt ein interessanter Film.

Einerseits gibt es da also das Drama um Bruce Wayne alias Batman, das sich in düster-bedeutungsschwangerem Geraune darüber erschöpft, wie böse man im Kampf für das Gute werden darf.

Eine ganze Riege hervorragender Darsteller von Christian Bale als Batman über Aaron Eckhart als Bürgermeister und Gary Oldman als sein bester Polizist bemühen sich, die Lage als ernst und die Konflikte als signifikant nicht nur für Gotham City, sondern für die ganze Menschheit darzustellen. In den aufgeworfenen Fragen über die Möglichkeiten der Folter und die Legitimität von Gewalt ernsthafte Kommentare zur aktuellen Weltlage herauszuhören, würde deren Komplexität aber deutlich überstrapazieren.

Andererseits aber gibt es den Joker, der im Gegensatz dazu als etwas ganz Einfaches erscheint: als durch und durch destruktiver Charakter. Man sieht es schon seinem Rücken an: die nachlässig nach vorne gebeugten Schultern im abgewetzten, dunklen Mantel, der schlurfende Gang. Und erst recht, wenn er sich dann umdreht: das überschminkte Clownsgesicht, in dem das Make-up fettig abbröckelt, umrahmt von angefilzten Haaren von undefinierbarer Farbe. Hinzu kommt die Stimme: ein hässliches Näseln, dessen Redefluss ab und zu von einer Zunge, die wie zwanghaft die vernarbten Mundwinkel abtastet, unterbrochen wird. Bezeichnenderweise erzählt er die Geschichte dieser Narben mehrfach in anderer Version, so dass am Ende keine davon dazu taugt, die innere Psyche dieses Bösewichts, dieses Agenten des Chaos zu erklären.

Gerade in der betonten Nachlässigkeit, Hässlichkeit und psychologischen Leere dieser Erscheinung liegt etwas ungemein Bedrohliches. Dieser Joker ist kein bloßer Antiheld. Die Grandezza, den Glamour der bösen Taten hat er vollständig abgelegt. Die Spielchen, die er vorbereitet, sind grausam, aber simpel. „Ich bin ein Mann von einfachem Geschmack“, sagt er an einer Stelle, „ich liebe Dynamit … und Schießpulver … und Benzin. Und was haben diese drei Dinge gemeinsam? Sie sind billig!“ Dieser Joker ist nicht der Schurke „you love to hate“. Er ist ein Anti-Antiheld und das macht ihn fürchterlich irritierend. Eine Irritation, die sich zum echten Grusel auswächst, wenn man sich klar macht, dass der junge Mann, der diesen mordenden Zombie spielt, selbst schon tot ist.

Heath Ledger wurde am 22. Januar diesen Jahres tot in seiner New Yorker Wohnung gefunden. Als Todesursache ermittelte man eine Fehldosierung von Beruhigungs- und Schlaftabletten. Es sei kein Selbstmord gewesen, hieß es, Ledger habe lediglich Schlaf finden wollen. Den nämlich, so hatte er in ersten, die Marketingkampagne zu „Dark Knight“ vorbereitenden Interviews bekannt, habe ihm dieser „schizophrene Massenmörder-Clown“ Joker geraubt.

Und ohne dass es damals schon jemand ausgesprochen hätte, war der Mythos von der „Rolle seines Lebens“ damit geboren. Ledger hatte das Ultimative vollbracht, das man von Schauspielern erwartet: Er hat sich die Seele aus dem Leib gespielt.

Die Leistung von Filmdarstellern zu beurteilen war schon immer ein heikles Unterfangen, wirkt doch auf der Leinwand die feine Schauspielarbeit à la Laurence Olivier schnell manieristisch, während grobe Rampensau-Taktik à la Jack Nicholson große Erfolge erzielt. Aus Mangel an objektiven Kriterien hält man sich in Hollywood bei der Oscar-Verleihung oft an das ganz Offensichtliche: die Unkenntlichkeit. Je mehr sich ein Schauspieler vor der Kamera verwandelt, für desto preiswürdiger hält man ihn. Das gilt zum einen, wenn er sich einer historischen Person anverwandelt, siehe die Oscars für Philip Seymour Hoffman als Truman Capote und Jamie Foxx als blinder Ray Charles. Und noch mehr gilt das fürs sogenannte „dressing down“, also wenn ausgesprochene Schönheiten sich als hässliche Entlein verkleiden wie Halle Berry in „Monster's Ball“ oder Charlize Theron in „Monster“. Wobei die Filmtitel schon von der Lustangst künden, die damit verbunden ist: das Monster als die von innen nach außen gekehrte Schönheit.

Auch Heath Ledger hat sich für seinen Joker bis zur Unkenntlichkeit hässlich gemacht. Keine Spur mehr scheint übrig von dem 26-Jährigen, dem einst eine Karriere als Teenagerschwarm („10 Dinge, die ich an dir hasse“ und „Ritter aus Leidenschaft“) sicher schien, der dann aber mit seiner Rolle des schwulen Cowboys in „Brokeback Mountain“ als Charakterdarsteller überzeugte. Die Kombination von Fragilität und Leidenschaft, von jungenhaftem Charme und trotziger Verschlossenheit war in Filmen wie „The Patriot“ und „The Four Feathers“ sein Markenzeichen.

In „Dark Knight“ sieht man nun, wie er tatsächlich über sich hinausgeht, seine Grenzen sprengt, wie er eisern gegen das eigene Bedürfnis, das ewige Schauspielerbedürfnis, geliebt zu werden, anspielt. Der Joker vergleicht sich mit einem Hund, der einem Auto nachjagt: „Ich könnte nichts damit anfangen, wenn ich es eingeholt hätte!“ An anderer Stelle variiert er den notorischen Satz über die Dinge, die uns nicht umbringen, an die Stelle des „sie machen uns stärker“, setzt er ein verwirrendes: „sie machen uns fremder“. Und tatsächlich ist es das, was hier vor unseren Augen passiert: Sowohl die aus den anderen Filmen vertraute Figur des Joker als auch sein Darsteller Heath Ledger werden uns auf unheimliche Weise fremd.

Es ist ein zutiefst zwiespältiges Gefühl, das einen bei diesem Anblick überfällt: Einerseits gibt es da diese Pflicht zur Bewunderung für diese „außerordentliche“ Leistung, für dieses „sich die Seele aus dem Leib spielen“. Andererseits verspürt man auch schnell ein Ressentiment genau gegen diese Pflicht. Haben wir Zuschauer etwa verlangt, dass er sich so aufopfert? Ein bisschen begreift man, weshalb so viel darüber geredet wird, dass Heath Ledger einen Oscar bekommen soll. Es ist der hilflose Versuch, diesem „Opfer“ genüge zu tun, das Monster wieder zu befrieden.

Interessanterweise wurde dieser Tage gemeldet, dass Terry Gilliam Schwierigkeiten hat, für seinen Film, „The Imaginarium of Doctor Parnassus“, in dem Ledger seine wirklich letzte Rolle spielt, einen Verleih zu finden. Da die Dreharbeiten zum Zeitpunkt von Ledgers Tod noch nicht abgeschlossen waren, sprangen in einem etwas bizarr anmutenden Experiment Johnny Depp, Colin Farrell und Jude Law ein, um den Film zu Ende zu bringen und dem sowieso von Pech verfolgten Gilliam aus der Bredouille zu helfen. So beeindruckend das Ganze klingen mag und so sehr man von Ledgers Schauspielfähigkeiten auch überzeugt ist, versteht man doch das Zögern: Noch ein neuer Film des eben gestorbenen Schauspielers – da kommt ein ungutes Gefühl von Geisterbeschwörung auf.

„Dark Knight“. Regie: Christopher Nolan. Mit Heath Ledger, Christian Bale u. a., USA 2008, 152 Min.