lidokino (3)
: Liebe zu dritt

„Jerichow“ bewegt sich in einer geschlossenen Kunstwelt, in einer Welt zweiter Ordnung, wo nichts dem Zufall überlassen ist

Christian Petzold gibt keine Party, obwohl er zwei gute Gründe dafür hätte. Sein neuer Film „Jerichow“ läuft im Wettbewerb der Mostra. Das ist für sich genommen schon eine wohltuende Anerkennung für die Arbeit des Berliner Regisseurs und darüber hinaus für das, was man im Ausland gerne nouvelle vague allemande nennt. Der zweite Grund ist, dass „Jerichow“ ein schöner Film geworden ist. Motive, Figuren, Plotmuster und auch Darsteller aus dem bisherigen Oeuvre tauchen wieder auf, werden aber so angeordnet, dass etwas Neues aufscheint – wie in einer sanften Fortentwicklung des Bekannten.

„Jerichow“ erzählt von einer Dreiecksgeschichte zwischen dem Gelegenheitsarbeiter Thomas (Benno Fürmann), dem Geschäftsmann Ali (Hilmi Sözer) und dessen Ehefrau Laura (Nina Hoss). Sie spielt in Mecklenburg-Vorpommern, setzt im Frühjahr mit den Bildern einer Beerdigung ein und endet im Hochsommer mit einer Totale: Schwarzer Qualm steigt hinter einer Steilklippe in den Himmel. Das Grün der Bäume leuchtet ähnlich intensiv wie in „Yella“, und wieder hebt sich ein rotes Requisit – diesmal ist es ein Feuerzeug in Autoform – kräftig davon ab, so wie es Nina Hoss’ rote Bluse im Vorgängerfilm tat.

Wie so oft bei Petzold spielen viele Szenen in Autos; Hoss sagt bei der Pressekonferenz: „Wenn man zum vierten Mal miteinander arbeitet, dann ist man das schon gewöhnt, den Autowahn.“ Petzold sagt, das Auto sei eine „Druckkammer“, ein intimer Raum, dessen Enge Spannungen ans Tageslicht bringe: „Man fährt 100 Stundenkilometer und muss dabei seine Liebe verhandeln.“

Referenzen auf Filmgeschichte und Literatur sind unverkennbar. Der Filmtitel spielt auf einen Ort an, der im Oeuvre Uwe Johnsons eine große Rolle spielt, und der Plot folgt lose Luchino Viscontis „Ossessione“ aus dem Jahr 1943, auf den wiederum Tay Garnetts „The Postman Always Rings Twice“ (1947) mit Lana Turner und John Garfield Bezug nimmt.

Eine junge Frau ist mit einem älteren Mann des Geldes wegen verheiratet, ein mittelloser Drifter kommt des Weges, zwischen den beiden entspannt sich eine Affäre, ein Mordplan wird geschmiedet. Geld und Gefühle sind untrennbar miteinander verbunden: ein Lieblingssujet des Melodrams; eine undurchdringliche Frau wird von krimineller Energie getrieben: ein Lieblingssujet des Film Noir.

Das alles legt nahe, dass sich „Jerichow“ in einer geschlossenen Kunstwelt bewegt, in einer Welt zweiter Ordnung, wo nichts dem Zufall überlassen ist und die Regeln des Genres über denen der Wirklichkeit stehen. Das stimmt aber nur zur Hälfte!

Petzold mag sich in der Filmgeschichte in den Versatzstücken von Film noir und Melodrama bewegen, doch genau in diesem Rahmen gelingen ihm feine Beobachtungen, Blicke darauf, wie unsere Gegenwart aussieht.

Wie etwa werden Gurken geerntet? Mithilfe eines Fahrzeugs, das „Gurkenflieger“ heißt. Ein Traktor in der Mitte, daran angebracht sind Liegeflächen, darauf die Erntehelfer, eine Armlänge vom Boden entfernt. Während das Gefährt langsam das Feld durchmisst, tasten ihre Hände nach Gurken, reißen sie aus und legen sie auf ein Förderband. Petzold nimmt sich Zeit, diesen Prozess zu zeigen: „Diese Art von Wirklichkeitswahrnehmung“, sagt er, „ist mir sehr wichtig.“

Auch in Abbas Kiarostamis beeindruckendem Konzeptfilm „Shirin“, der außer Konkurrenz gezeigt wird, geht es um ein Liebesdreieck – allerdings bleibt es komplett offscreen.

114 iranische Schauspielerinnen und ihre französische Kollegin Juliette Binoche sitzen in einem Theatersaal und verfolgen die – von Kiarostami selbst in Szene gesetzte – Darbietung eines epischen Gedichts aus dem 12. Jahrhundert, in dem eine armenische Prinzessin, ein persischer König und ein Steinmetz den Zeitläufen trotzen.

Die Inszenierung ist zu hören, zu sehen ist sie nur als Lichtreflex auf den Gesichtern der Zuschauerinnen und, was wichtiger ist, als deren mimische Reaktion. Tränen, gesenkte Lider, zum Schutz vor das Gesicht gehaltene Hände, Finger, die angespannt eine Haarsträhne zwirbeln und sie in den schmalen Spalt zwischen Fingerkuppe und Fingernagel schieben: Je länger „Shirin“ dauert, umso differenzierter gestaltet sich das Repertoire der Gesichtsausdrücke und Gesten!

In dem Maße, in dem die 115 Frauen vom Geschehen auf der Bühne in den Bann gezogen werden, mag auch der Kinogänger die Augen von Kiarostamis konzentrierter Inszenierung nicht lösen. CRISTINA NORD