: Junkies allein zu Haus
Seit sechs Jahren gehen Politik und Polizei repressiv gegen die Drogenszene in den Stadtteilen vor. Seitdem sind die Abhängigen weniger sichtbar. Aber die Drogenhilfe meldet konstante Nachfrage
Schlecht für den, der heroinabhängig in einem Hamburger Gefängnis sitzt: Seit dem Abbau der Spritzenautomaten gebe es kein Angebot von sterilen Spritzen in den Gefängnissen, sagt Sonja Lohmann von der Aidshilfe. Wie es um die Anzahl von HIV-Infektionen unter den Insassen aussieht, ist unklar. „In den Gefängnissen wird dazu nach meinen Informationen seit einigen Jahren keine Statistik mehr geführt.“ Sie schätzt, grob ein Prozent seien mit HIV infiziert. „Da muss dringend etwas passieren“, fordert Peter Möller vom Drob-Inn, einer Beratungsstelle, die ihre Klientel in Haft weiter betreut. „Da sitzen Menschen wegen Schwarzfahrens, sind hochgradig abhängig und infizieren sich mangels sauberer Spritzbestecke mit lebensbedrohlichen Krankheiten.“ WAC
VON RABEA WACHSMANN
Um Hamburgs Drogenszene ist es ruhig geworden. Nachdem der Schwarz-Schill-Senat vor sechs Jahren ein rigides Vorgehen gegen öffentliches Konsumieren und den Verkauf harter Drogen einläutete, hat die Szene sich zumindest augenscheinlich verzogen. Wohin – das ist die große Frage.
„Drogenabhängige in Hamburg sind öffentlich nicht mehr so wahrnehmbar wie früher“, sagt Christina Baumeister, in der Gesundheitsbehörde für Drogen zuständig. „Ich würde nicht mehr von einer Szene sprechen.“ Den Grund dafür sieht Baumeister vor allem in der Politik ihrer Behörde: „Die Stadt Hamburg betreibt eine progressive Drogenpolitik und ist bei den Ausgaben im Bundesvergleich ganz vorne.“
Momentan gibt es in der Hansestadt fünf Konsumräume: Drob Inn und Ragazza in St. Georg, das Stay Alive auf St. Pauli, das Abrigado in Harburg und Kodrobs in Altona. Nach der Schließung des Fixsterns im Schanzenviertel 2003, befürchtete man eine Abwanderung der Szene in andere Stadtteile. „Viele der Klienten aus dem ehemaligen Fixstern sind ins Stay Alive nach St. Pauli abgewandert“, sagt der Leiter des Drob Inn, Peter Möller. Im Drob Inn habe sich die Zahl nicht großartig verändert. „Unsere Betreuungs- und Drogenkonsumraumzahlen sind seit Jahren stabil.“ Ein Rückgang der Drogenproblematik sei nicht erkennbar, sagt Möller. „Unsere Klientel ist hochgradig abhängig und stark verelendet.“ Im Drob Inn werden täglich bis zu 400 DrogenkonsumentInnen betreut. 2003 ist die größte Drogenhilfsanlaufstelle in Hamburg in das Gebäude am Besenbinderhof gezogen. „Nach 20 Jahren bloßer Vertreibung der offenen Drogenszene, ist es uns endlich gelungen einen sozialverträglichen Standort zu finden, wo sich dieser Personenkreis aufhalten kann.“
Die Rede von der progressiven Drogenpolitik des Senats überzeugt den Geschäftsführer vom Verein Palette, Rainer Schmidt, nicht: „Es hat einen Wandel in den letzten Jahren gegeben. Hin zu ordnungspolitischen Maßnahmen und zu der Frage, was ist verträglich für einen Stadtteil. Und weg von der Frage, was ist sinnvoll für die Leute.“ Über Jahre habe die Drogenproblematik eine Rolle gespielt, „jetzt bekreuzigen sich alle nur noch, wenn sie das Thema Drogen nur hören,“ sagt Schmidt. „Es findet keine intellektuelle Auseinandersetzung mehr mit dem Thema statt. Mehltau liegt über allen, das ist Wahnsinn.“
Die Palette betreut nach eigenen Angaben bis zu 500 Abhängige harter Drogen mit psychosozialen Maßnahmen. Das augenscheinliche Verschwinden der Szene im Schanzenviertel sei nur oberflächlich: „In der Schanze sind nach wie vor fast alle da.“ Durch die Handy-Revolution würden nur anders Verabredungen getroffen. „Die sind mittlerweile ganz anders organisiert, da passiert viel in den Wohnungen“, sagt Schmidt.
Aus polizeilicher Sicht wurde die offene Drogenszene mit repressiven Maßnahmen erfolgreich bekämpft. Die Szene habe sich nicht nur in St. Georg, „sondern hamburgweit verändert“, sagt Ulf Schröder, Leiter des Polizeikommissariat 11 in St. Georg. „Wenn wir nicht konsequent durchgreifen“, sagt Schröder, „wird sofort wieder öffentlich konsumiert.“ St. Georg sei ein akzeptabler Stadtteil geworden. „Unser Ziel ist es, die Leute zum Drob Inn zu bewegen. Und da vor Ort die Balance zu halten.“
Dem pflichtet auch Helmut Süßen bei, Leiter der Zentraldirektion 62 Rauschgiftbekämpfung: „Wir könnten sofort einen polizeilichen Riegel ziehen, dann wäre das Drob In von heute auf morgen tot. Und wir hätten die Abhängigen sofort wieder in den Stadtteilen, das will niemand.“ Zunehmend schwierig sei es für die Drogenfahnder, an die Dealer zu kommen. Es habe sich ein Rückzug in Privatwohnungen vollzogen. „Früher konnten wir auf der Straße mit jeder Hand fünf Dealer rausgreifen, das geht heute nicht mehr. Die Dealer machen es uns zusehends schwer an sie ranzukommen.“ Auch das Gros des Konsums finde im privaten Raum statt. „Das sind viele normale Menschen, die sozial unauffällig harte Drogen konsumieren.“ Für Süßen befinden sich „alle in einer Art Schicksalsgemeinschaft: Klienten, Polizei und Drogehilfeeinrichtungen müssen an einem Strang ziehen. Das haben alle begriffen.“