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Archiv-Artikel

Kritikfreie Kiezkunde

Flugblätter auf Wäscheleine: Das „L-Projekt“ im Schwulen Museum erzählt die Geschichte der Lesbenbewegung in Berlin seit den Siebzigerjahren. Und erinnert sich dabei etwas zu gemütlich

VON INES KAPPERT

Was genau ist einzuwenden gegen Heimatkunde? Zumal wenn sie so aufgeklärt ist und sich der Geschichte der Berliner Lesbenbewegung seit den 70ern bis heute annimmt? Die aktuelle Ausstellung im Schwulen Museum wirft diese Frage auf, denn schnell ist klar: Hier standen weder Geld, nennenswerte künstlerische Arbeiten noch Prominenz im landläufigen Sinne zur Verfügung. Gleichfalls geht es hier nicht um Lesben in der großen weiten Welt, sondern um die Bewegung hier „bei uns“ im Kiez.

„Das L-Projekt“ ist eine kleine Ausstellung, welche die Wertschätzung von unglamourös anmutenden Dingen verlangt. Ihr Ziel ist es, so beschreibt es gleich das erste in der Ausstellung zu lesende Blatt, Themenstationen zu zeigen, welche die Lesbenbewegung in den letzten knapp 40 Jahren geprägt haben. Aufeinandergestapelte Umzugskartons zeigen uns den Weg und sind auch Sinnbild dafür, dass die Dokumentation der Lesbenbewegung noch keinen festen Ort gefunden hat und sich viele Dinge noch unentdeckt in den Pappbehältern lagern.

In den beiden Ausstellungsräumen finden sich aus den 70ern stammende Ausschnitte aus der Bild-Zeitung, auf denen gegen „Lesbierinnen“ gegeifert wird. Flugblätter, die mithilfe von Wäscheklammern auf einer Leine befestigt wurden, die sich zwischen vier Haushaltsbesen aufspannt, zeugen von einer Zeit, in der noch zu Frauen- und Lesbendemos aufgerufen wurde. Ebenso wie dort aufgenommene Schnappschüsse, auf denen Frauen sich gerne beieinander unterhaken und lachend das Tanzbein schwingen. Ernster wird es dann, wenn auf den ausgestellten Fotos Mauern zu sehen sind, die mit Sinnsprüchen wie „Männer sind Mörder“ besprüht wurden. Vor zwanzig Jahren wusste man noch, wo der Feind steht.

Das ein oder andere Baumwollhemd kündet von der Relevanz der Ökobewegung in den 80ern. Später halten dann der Schnurrbart und die abgeklebten Brüste verstärkt Einzug in die lesbische Idee von Coolness. Performerinnen aus der lesbischen Varieté-Szene werden porträtiert. Politische Großthemen finden kaum mehr Widerhall, die Konzentration liegt auf einzelnen Personen.

Alles in allem aber wird die Ausstellung dem Anspruch der Macherinnen gerecht, mit einfachen Mitteln wichtige Stationen zu dokumentieren: Die Lesben- und Frauenbewegung findet sich immer wieder durch den Boulevard verfemt, verschaffte sich bis in die frühen 90er vor allem durch Demos Sichtbarkeit, war Teil der Ökobewegung und prangerte das männliche Geschlecht als potenziellen Vergewaltiger an. Außerdem erprobte und erprobt die Szene bis heute neue Selbstinszenierungen im Nachtleben. Eine gewisse Entpolitisierung hat auch hier stattgefunden. Warum also verflüchtigt sich die Beklemmung nicht?

Zum einen stellt sich das Gefühl ein, dass die Lesbenbewegung strikt auf die Frage der Identität kapriziert wird, welche sich dann vornehmlich in den diversen Outfits gespiegelt findet. Hinzu kommt, dass die Ausstellung in ihrer Machart die Unprofessionalität und Naivität der Bewegung wiederholt. Wer in den 80er und 90ern auf Frauendemos war und auch die ein oder andere Walpurgisnacht mitgenommen hat, erkennt den Duktus und die Ästhetik sofort wieder. Zu Recht weist Barbara Holland-Cunz darauf hin, dass Emanzipation nur zu erreichen ist, wenn es Frauen gelingt, die Ungleichbehandlung als Drama sichtbar zu machen. Nur unter der Voraussetzung ihrer Dramatisierung, so die Politologin, dringe die „Frauenfrage“ ins öffentliche Bewusstsein. Aber die bis in die 90er Jahre hinein beliebte Selbstdramatisierung als Hexe ist schon böse naiv; daran erinnert man sich nicht gerne.

Das zentrale Problem der Ausstellung liegt jedoch woanders: Es besteht im Fehlen der Kritik. Dabei ist es vollkommen berechtigt, eine nach wie vor zu Unrecht marginalisierte Lebensform gegen all diese Anfeindungen zu verteidigen, indem man sich feiert und feiern lässt. Doch ist mittlerweile sattsam bekannt, dass die Grenzen zur Selbstbeweihräucherung fließend sind, weswegen die schulterklopfende Selbstinszenierung schnell selbst normativ und also beengend wird. Das „L-Projekt“ bürstet keine Geschichte der Lesbenbewegung gegen den Strich und dokumentiert auch keine Kämpfe innerhalb der Bewegung.

Und damit wären wir wieder bei dem Problem, das angewandte Heimatkunde aufwirft: Provinzialität ist eben nicht nur gemütlich. Das „Leben und Denken im Dorf“ beschneidet nämlich immer dann nonchalant die Spielräume der Einzelnen, wenn Dissens aufkommt und sich darüber die Notwendigkeit zur Erneuerung ankündigt.

„L-Projekt“ im Schwulen Museum, Mehringdamm 61, tgl. außer Di. 14–18 Uhr, bis 7. Dezember