Die nicht verheizt werden wollten
Sie waren ein paar Tage lang mächtig, aber auch sprachlos und scheiterten letztlich daran: Den Aufstand der Kieler Matrosen vor 90 Jahren bringt Fabian Larsson heute im dortigen Flandernbunker auf die Bühne. Er will vor allem die Konstellation untersuchen, die zum Aufbäumen der Unterdrückten führt
Das Einschwören auf „Soldatentreue“ in Unternehmen und Politik verläuft heute subtiler und heißt „Corporate Identity“
VON PETRA SCHELLEN
Dies ist ein Stück über die Kluft zwischen Wort und Tat. Über das Zusammentreffen von physischer Macht und Sprachlosigkeit, das Revolutionen stark behindern kann. Dabei hat der Dramaturg Fabian Larsson gar nicht vor, den Kieler Matrosenaufstand von 1918 heute Abend als Stück des Scheiterns zu inszenieren. Gemeinsam mit seinem Ensemble Limited Blindness will er vielmehr „die Sprachlosigkeit dieser wenig gebildeten Matrosen auf die Bühne bringen, die damals real die ganze Stadt kontrollierten“, sagt er.
Authentische Texte wird er dafür nutzen, und natürlich sei das „eine Provokation“. Aber eben auch eine Herausforderung. Außerdem will er die Erinnerung wachrufen an jene Ereignisse, die sich im November zum 90. Mal jähren und über die im Geschichtsunterricht kaum gesprochen werde.
Dabei war der Aufstand, der heute auf die Bühne des Kieler Flandernbunkers kommt, durchaus bedeutend: Er gilt als Initialzündung der deutschen Novemberrevolution, die letztlich zum Sturz der Monarchie in Deutschland führte.
Wie alles begann? Im Grunde schleichend: Lange schon hatte sich im Oktober 1918 die Kluft zwischen Admirälen und Matrosen vergrößert. Seit Monaten funktionierte die Lebensmittelversorgung nicht. „Die Matrosen hatten Maden im Essen und schufteten wir verrückt – allerdings nur zum Schein. Denn der Erste Weltkrieg fand ja gar nicht in Kiel statt. Hier wurde nur exerziert, nicht wirklich gekämpft; man langweilte sich“, sagt Larsson.
Das tat wohl auch die Obrigkeit, sonst wären die Admiräle nicht auf die Idee gekommen, die Heizer um die Wette Kohle auf Schiffe schaufeln zu lassen und derweil auf Deck mit Sekt anzustoßen. Ob es Arroganz war, oder ob sie gar nicht mehr merkten, was sie taten: Man weiß es nicht. Bekannt ist nur, dass die Seekriegsleitung den Friedensverhandlungen Deutschlands misstrauisch zusah. Dass sie – so Konteradmiral Lothar von Trotha – „keinen schmachvollen Frieden“ wollte, der den Wiederaufbau der Flotte auf Jahrzehnte verhindert hätte. Deshalb wollte die Marineleitung unter Admiral Scheer eigenmächtig die Flotte in den aussichtslosen Kampf gegen England schicken.
Da hatten die Matrosen genug. „Die Heizer rissen die Feuer heraus und verhinderten das Auslaufen der Schiffe“, berichtete Werftarbeiter Lothar Popp später. Die Leute verweigerten den Gehorsam. Sie wollten nicht verheizt werden. „Große Verbrüderung und Hochs auf die Infanterie. Feldgraue Helme wurden weggeworfen, Mützen aufgesetzt und Klamauk gemacht“, schreibt ein Konstrukteur der Kaiserlichen Werft, auf dessen Aufzeichnungen Larssons Stück basiert.
Der Aufstand verlief dann wie so viele: Meuterer wurden verhaftet, teils von Kameraden befreit, beide Seiten schossen. Arbeiter- und Soldatenräte entstanden. Am 5. November 1918 verabschiedete der Kieler Soldatenrat ein 14-Punkte-Programm.
Dessen Machart offenbart sehr deutlich das Dilemma der Aufständischen: „Es enthält Forderungen auf verschiedenen Ebenen, die von der Pressefreiheit bis zur Verbesserung der Lebensmittelversorgung reichen“ sagt Larsson. Und auch wenn es einzelne gute Redner unter den Aufständischen gab, „waren sie doch grundsätzlich rhetorisch unterlegen. Sie konnten sich immer weniger durchsetzen. Am Ende blieb nur noch die Forderung nach Lebensmitteln übrig.“
Sollten sie bedrückt oder froh darüber sein, dass die SPD-ler unter ihnen die Verhandlungen übernahmen, insbesondere der spätere Reichswehrminister Gustav Noske? Dass er die soziale Revolution verhinderte, weil die SPD fürchtete, der Aufstand könnte aus dem Ruder laufen? „Ich weiß es nicht. Aber man muss sehen, dass Noske den Aufstand klein gehalten hat“, sagt Larsson.
Aber der Dramaturg will auch gar nicht Geschichte nacherzählen. Sein Stück soll „die Bedingungen untersuchen, unter denen Menschen endlich ihre Interessen formulieren und sagen: Mit uns nicht mehr.“ Er wolle anregen zur Aufmerksamkeit den eigenen Bedürfnissen gegenüber, die irgendwann nicht mehr mit denen der Obrigkeit übereinstimmten.
Ein hoch aktueller Stoff. Denn das Einschwören auf „Soldatentreue“ – in Unternehmen und Politik gleichermaßen – verläuft inzwischen subtiler und heißt „Corporate Identity“. Das macht es schwer, die eigenen Grenzen, die eigene Wut zu spüren. Hier will Larsson neue Kräfte wecken, vielleicht im Sinne eines modernen Sturm und Drang, der mit Psychoanalyse wenig zu tun hat, aber viel mit Gerechtigkeit.
Warum aber muss das Stück im Finstern stattfinden? „Mich fasziniert die Hilflosigkeit, die die Zuschauer befällt, wenn sie sich von Mitgliedern des Blindenverbandes im Dunkel auf ihre Plätze führen lassen. „Eine Chance zur existenziellen Freiheit“ nennt Larsson das. „Ich kann da sitzen, Geräusche machen, sogar ins Stück reinquatschen, ohne dass mich jemand sieht. Die soziale Kontrolle fällt komplett weg.“ Man höre nur das Zischen von Ventilen, das Keuchen der Arbeiter, Musik und die authentischen Texte.
Zelebriert er die Aufständischen klammheimlich als Helden im sozialistischen Sinne? Nein, sagt Larsson. Aber er wolle jeden einzelnen Zuschauer verleiten, in der Finsternis seinen persönlichen Traum von Freiheit zu träumen. Und danach vielleicht ein Quäntchen emanzipierter zu leben.
Premiere: heute, 20 Uhr, im Kieler Flandernbunker