Plötzlich aussätzig

Ein muslimischer Freundeskreis in England und der Terror: Peter Kosminskys „Dschihad in der City“, ab 21 Uhr, Arte

Bradford, Nordengland. Hier leben viele Briten mit pakistanischen Wurzeln, auch die Familie von Nasima und Sohail. Sie sind in guten Verhältnissen aufgewachsen, studieren: Nasima und ihre beste Freundin Sabia Medizin in Leeds, ihr älterer Bruder Sohail Rechtswissenschaften in London. Der smarte Jurastudent (Riz Ahmed) ist ein Bilderbuch-Engländer, seine gar nicht so kleine Schwester (Majinder Virk) auch politisch engagiert: „The world’s terrorist number one“ steht auf einem Plakat in ihrem Schlafzimmer – darauf das Konterfei von George W. Bush.

Als muslimisch erzogene Menschen, die ihre Religion zwar respektieren, aber sich dabei längst nicht mehr den von ihren Eltern vorgelebten Spielregeln unterwerfen wollen, haben sie beide ihre kleinen Geheimnisse: Dass Sohail dann und und wann durchaus mal Alkohol trinkt, ist läppisch im Vergleich zu Nasimas Problem: Sie lernt im Studium Jude kennen und lieben – einen schwarzen Christen.

Doch der Zweiteiler „Britz – Dschihad in der City“ ist kein Film über die kleinen, alltäglichen Abgründe des multikulturellen Lebens, sondern über die ganz großen: Nach den Bombenanschlägen vom 7. Juli 2005 in London ist das Land wachsam: Dass seitdem jedeR MuslimIn unter Generalverdacht steht, ist leicht dahingesagt. Doch Peter Kosminsky (Buch und Regie) gelingt es, diesen Alltag in verstörend-packenden, weil so normalen Bildern nachzuzeichnen: Die Anti-Terror-Gesetze verhelfen der ohnehin vorhandenen islamfeindlichen Grundstimmung zu Oberwasser. Die Spielregeln eines der ältesten Rechtsstaaten der Geschichte gelten für eine ganze Bevölkerungsgruppe nicht mehr: Routine-Verkehrskontrollen werden für sie zur Vorstufe von absurden Verhören, Kontaktsperre, Beugehaft.

Vor diesem Hintergrund radikalisieren sich die Freunde von Nasima und Sohail: Imram, der Bruder von Nasimas bester Freundin Sabia, lehnt alles Britische mittlerweile radikal ab. Und Sajid, Sohails Freund aus Kindertagen, hat offenbar Verbindungen zu den Attentätern des 7. Juli. Vielleicht, so Sohails furchtbarer Verdacht, ist er sogar ein Teil der bislang unbekannten dritten Gruppe von Terroristen, die Anschläge geplant, aber nicht mehr ausgeführt hat.

Die Reaktionen der Geschwister auf dieses neue „Lebensgefühl“ könnten unterschiedlicher nicht ausfallen: Sohail beschließt, für den britischen Geheimdienst MI 5 zu arbeiten, der gerade händeringend Menschen mit pakistanisch-muslimischem Hintergrund sucht. Nasima und Sabia gehen dagegen nicht mehr bloß auf Studentendemos gegen den Irakkrieg, sondern setzen ihren Protest auch vor Moscheen und Gebetshäusern fort, was sie in immer engeren Kontakt zu radikalen Islamisten bringt.

Am Jahrestag des 11. September wird Sabia von der Polizei festgenommen und kommt erst Tage später wieder frei: Um jeden Preis will man über sie an ihren untergetauchten Bruder Imram kommen, der Kontakt zu Nasima wird ihr von den Behörden gemäß der neuen Anti-Terror-Gesetze offiziell untersagt. Als Sabia vor Verzweiflung Selbstmord begeht, knüpft Sohail gerade zarte Kontakte zur smarten, aber undurchsichtigen MI-5-Agentin Tess. Und die Situation eskaliert. STEFFEN GRIMBERG