: Die sozialistische Null-Bock-Generation
Erfolgsgeschichte eines Tiefstaplers: Die versammelte Theaterprominenz aus Ost und West ehrte in der Akademie der Künste den Regisseur Jürgen Gosch. Zu feiern gibt es einen späten Karrierehöheflug und morgen den 75. Geburtstag
Außer Atem kam Corinna Harfouch aufs Podium. Sie war vom Oderbruch in die Akademie der Künste geeilt – „weil Jürgen Gosch einer der wichtigsten Männer in meinem Leben ist“. Ernst Stötzner, einer der Protagonisten aus dem Düsseldorfer „Macbeth“, mit dem Gosch die Ekeltheaterdebatte des Jahres 2006 befeuert hatte, trug zu Ehren des Regisseurs ein „Lied von der roten Eule“ als inbrünstige One-Man-Oper vor. Und Michael Gwisdek berichtete von seinem ersten Probentag mit dem damals 35-jährigen Regisseur, der ihn dereinst mit der für Schauspieler so schwierigen Kunst des Nicht-Spielens vertraut gemacht habe. „Er hat mir die Rampe versaut“, behauptete „Müscha“ pointenbewusst vorn an der Rampe und erntete lachenden Protest.
Die Theaterprominenz aus Ost und West hatte am Samstagabend viele Gründe, Jürgen Gosch zu ehren. Der gebürtige Cottbuser feiert morgen seinen 65. Geburtstag, und darüber, dass Gosch dünn und gebeugt, doch sichtlich guter Dinge diesen Abend genoss, freuten sich alle, die von seiner Erkrankung gehört hatten. Zu feiern gab es auch einen späten Karrierehöhenflug; dass gerade sein „Onkel Wanja“ am Deutschen Theater in der Theaterheute-Kritikerumfrage zur „Inszenierung des Jahres“ gewählt wurde, ist dabei nur einer von vielen Erfolgen. Die imposante Serie ausgezeichneter Inszenierungen, die er in den vergangenen fünf Jahren auf die Bühnen von Zürich und Düsseldorf, Hamburg, Hannover und vor allem des Deutschen Theaters gelegt hat, war keiner Glückssträhne geschuldet. Nach einer längeren Durststrecke in den 90ern hatte Gosch im Verbund mit seinem Bühnenbildner Johannes Schütz einen Schlüssel gefunden, wie er derbste Spiellust bei gleichzeitig strengem Form- und Raumbewusstsein ermöglichen konnte. Wenn man es denn so kurz sagen kann.
Der Meister selbst äußerte sich auch in der Akademie eher einsilbig über sein Leben und Werk, hatte dafür aber ein Geschenk mitgebracht: den elfminütigen Neuschnitt eines Schwarz-Weiß-Films, den er 1981 ohne Genehmigung mit der damaligen Crème des DDR-Theaters gedreht hatte, der aber wegen allgemeiner Verpeiltheit nie fertiggestellt worden war. In Tati-haft ruhigen, sinnfrei gegeneinander geschnittenen Einstellungen sah man Hermann Beyer, Jürgen Holtz, Heidemarie Schneider und einen schockierend gutaussehenden Michael Gwisdeck coolstes Sozialismus-Ennui performen. Christoph Hein, der damals täglich ein neues Stück Drehbuch schrieb, erzählte: „Alle ließen sich treiben, jeden Tag in eine ein bisschen andere Richtung als am Vortag“, während Tiefstapler Gosch abwinkte: „Mich interessiert’s nicht wirklich, das alte Zeugs.“
Doch Goschs sich sogar gegen sich selbst wendende Arroganz, seine fast antiintellektuelle Weigerung, über seine Arbeit zu sprechen, hat Methode und Geschichte. Das konnte man an diesem Abend erahnen. „Ich gehörte ja nicht mehr zur politisierten Generation wie Heiner Müller“, sagte er einmal. Gosch begann seine Laufbahn als Schauspieler für Theater und Fernsehen, und tatsächlich kann man aus einigen frühen Filmdokumente, die in der Akademie gezeigt wurden, vor allem den Gestus gelangweilter Verweigerung, provokanten Hängertums herauslesen, etwa in seiner Rolle als gescheiterter Republikflüchtling Rolli in Thomas Langhoffs TV-Film „Befragung – Anna O.“ (1977). Eine ähnliche Haltung soll auch Goschs erste Skandalinszenierung von Büchners „Leonce und Lena“ 1978 an der Berliner Volksbühne geprägt haben, der ein Kritiker vorwarf, sie habe das Stück „auf Samuel Beckett hingewirtschaftet“. Danach war Schluss mit Theater in der DDR. Ab 1980 inszenierte Gosch auch in Hannover und Bremen und siedelte schließlich – „nicht aus Sympathie“, wie er betonte – in den Westen über.
Glaubt man den Schauspielern, dann praktiziert Gosch schon seit den 70ern seinen Probenstil des ansagelosen „Unter-Beobachtung-Stellens“, das den Spielern große Freiheit lässt, sie aber auch stark unter Druck setzt. Seit damals ist der Slacker Gosch einen weiten Weg gegangen und, obschon sich treu geblieben, ganz in der Mitte der wiedervereinigten Theatergesellschaft angekommen.
EVA BEHRENDT