Kultur ist kein Lehrmeister

Auswärtige Kulturpolitik ist sorgfältiges Ausschöpfen der Begegnungspotenziale, sagt Angela Merkel. Sie hielt gestern als erste Kanzlerin eine Rede in der Zentrale des Goethe-Instituts in München

Was die Kanzlerin an Kultur interessiert: ihr Werbeeffekt für Deutschland. Sie sagt das charmanter, aber durchaus ganz direkt. Außerdem interessiert sie Kultur als Möglichkeit für etwas, was man Globalisierungs- oder auch Weltvernetzungsbegleitung nennen könnte; Information, sagt Angela Merkel, könne man zwar übers Internet aus der ganzen Welt holen, aber Wissen mit seinen Verknüpfungsleistungen bedürfe der Vertiefung. Interessant ist Kultur für sie zudem als Anlass einer von direkten Interessen entlasteter Kommunikation; da kann man die Werte, „nach denen wir leben“ (Merkel), als nicht typisch deutsch, sondern als universal gültig vermitteln.

Angela Merkel hielt gestern als erste deutsche Kanzlerin eine Rede in der Zentrale des Goethe-Instituts in München. Sie präsentierte sich dabei als gut informiert und schlagfertig. Nachdem Goethe-Präsident Klaus-Dieter Lehmann die Leistungen junger Frauen herausgestellt hatte, konterte Merkel mit der Frage, ob das wohl mit der Antidiskriminierungsrichtlinie vereinbar sei: Junge Männer könnten sich hier durchaus diskriminiert fühlen.

Klar, in ihrer Rede fielen auch all die Floskeln, die immer fallen, wenn Politiker über Kultur sprechen: das Wort „Seele“, ein Goethe-Zitat. Aber diese Rhetorik blieb im Hintergrund. Vor allem an der These, dass die Kultur die Gesellschaft zusammenhalten müsse, hatte Merkel wenig Interesse. Stattdessen formulierte sie ziemlich handfest, was die Bundesregierung von auswärtiger Kulturpolitik will: vor allem, so lässt sich das zusammenfassen, ein sorgfältiges Ausschöpfen der Begegnungspotenziale, die sich in diesen Bereichen bieten. Wenn dabei noch Deutsch als „selbstbewusste Sprache im 21. Jahrhundert“ vermittelt wird, ist für sie alles gut.

Vor allem in längerfristiger Perspektive ist das wirklich interessant. Kultur ist jetzt nicht mehr wie bis in die Achzigerjahre das andere von Politik; sei es als deren Prügelknabe, sei es als deren vermeintlich moralisch überlegener Lehrmeister. Kultur ist auch nicht mehr – wie noch unter Rot-Grün – der Ort, der die Leerstelle im Zentrum der Gesellschaft füllen und die Wunden von Krieg und Holocaust heilen soll. Sondern sie ist für Merkel der Ort, an dem Menschen sich begegnen können, ohne gleich über nationale Interessen oder Geschäfte reden zu müssen (wobei spätere Gespräche in diese Richtungen nicht ausgeschlossen sind).

Als kulturbeflissen zeigte sich Merkel in München keineswegs. Aber als Kanzlerin, die ganz pragmatisch die Möglichkeiten, die Kulturarbeit bietet, erkennt und fördern will. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hatte zuletzt den Etat des Goethe-Instituts erhöht und damit die Bedeutung der Kultur für die Außendarstellung Deutschlands anerkannt. Nun hat auch die Kanzlerin das sanktioniert. Egal also, wer die nächste Bundestagswahl gewinnt – die auswärtige Kulturpolitik wird nicht darben.

Und worüber soll man sich unterhalten, wenn man sich trifft? Laut der Kanzlerin gerade auch über den mühseligen, jahrhundertelangen Prozess, den unsere Gesellschaft brauchte, um einigermaßen aufgeklärt und liberal zu werden. Das Kapital der Kultur, das ist damit implizit ausgedrückt, besteht nicht im schönen Schein, sondern auch in einem Erinnern gesellschaftlicher Konflikte. Es war ein guter Auftritt. DIRK KNIPPHALS