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Archiv-Artikel

Warum Robert Enke meine Nummer 1 ist

Die Charts heute mit Respekt für einen Nationaltorhüter, der seine Kollegen nicht schlägt, beißt, würgt oder hasst

Eines der schwierigen Dinge der Gegenwart ist die fachliche Beurteilung eines Fußballtorhüters. Dagegen ist die Einschätzung einer Theaterinszenierung oder eines SPD-Kanzlerkandidaten ein Kinderspiel – und die Beurteilung eines Fernsehfußball-„Experten“ sowieso. Dass der neue ZDF-Analytiker Oliver Kahn im Vergleich zu Vorgänger Jürgen Klopp ein fachlicher Rückfall in die Steinzeit ist, war am Mittwoch einfach zu belegen.

Wer aber, außer wenigen echten Experten, könnte beurteilen, wer der „beste Torhüter in Deutschland“ ist? Abgesehen davon, dass die Frage lautet, wer der Beste für einen bestimmten Stil ist. Und damit: wen ein bestimmter Trainer zu einer bestimmten Zeit aus fachlichen und anderen Gründen favorisiert. Jedenfalls: Robert Enke hat beim 3:3 in Finnland sein viertes Länderspiel gemacht, und ich finde, es sollten mehr werden. Nicht nur, aber auch, weil er keine Kollegen schlägt oder beißt oder würgt oder hasst. Undenkbar, dass er sich mit dem Konkurrenten René Adler ein „Er oder ich“-Duell liefern würde, wie es die Alphamännchen Kahn und Jens Lehmann taten. Niemals würde er einem Gegenspieler die Zähne ausschlagen wie Harald Schumacher. Und blöde Witze würde er auch keine machen wie anno Tobak der Maiersepp.

Die Nationalmannschaft hat wegen der (inter)nationalen Ausstrahlung auch eine kulturelle und gesellschaftliche Relevanz. Mit Enke wird die flache und falsche Inszenierung des Torhüters als „Ein Mann allein kann alles“–Supermann überwunden und auch die Folklore, dass ein Torwart ein bisschen irre zu sein habe. Nein, hat er nicht. Wozu?

Enke ist ein sehr guter Fußballprofi. Einer, der seine Arbeit nicht zum Titanentum stilisiert, sondern sich und sein Spiel unaufgeregt einzuschätzen weiss. „In Spanien“, sagte er unlängst der FAS, „füllt ein Torwart die Mannschaft auf.“ Das ist sowenig Koketterie wie seine Abneigung gegen „Torhütermeldungen“ in der „Tagesschau“.

Während der Bremer Anwärter Tim Wiese sicher Oldschool repräsentiert und René Adler als Persönlichkeit noch blass ist, folgt durch Enke dem modernen Torwartspiel, das Lehmann einbrachte, auch ein modernes Torwartbild. Das ist zeitgemäß modern und ein angemessener kultureller Fortschritt.

Was das Fachliche betrifft: Bei Umfragen unter Kollegen rangiert er seit Jahren oben. Weil aber das Kahn- und auch das Lehmann-Bild die (Fußball)Gesellschaft geprägt hat, merkt man Enke die Sorge an, neben dem Standort (Hannover 96) könnte ihm auch seine Art negativ ausgelegt werden. Also: weniger irre, weniger „Typ“, weniger gut.

Wenn von Fußballprofis als „Typen“ geredet wird, so meint das in der Regel, dass sie in der Pizzeria boxen, nicht zu Hause sind, wenn der Trainer anruft, oder im Lauf des sozialen Aufstiegs nicht nur einen Klub-Wechsel vornehmen, sondern auch einen von der früh geheirateten Jugendfreundin zu einer Art „Model“. Enke ist in Jena aufgewachsen und hat nicht nur „typbildende“, schwierige berufliche Jahre hinter sich, er muss mit einem abgründig-existenziellen Unglück fertig werden, dem Tod seines Kindes. Man darf davon ausgehen, dass die Welt sich für ihn – im Gegensatz zu Kahn und Lehmann – weiterdrehen wird, falls er nicht dauerhaft in die Reihe der deutschen Nationaltorhüter aufgenommen wird. Aber das wäre schade.

Lieber Joachim Löw: Als Anhänger einer modernen Nationalmannschaft fühle ich mich von Robert Enke rundum gut repräsentiert und vertreten. Wollte ich nur mal gesagt haben.

DIE CHARTS im September

Songs: „Deal“, „Chrosmaeister“, „Weit und breit“ – Herwig Mitteregger. Hier ist Adult Orientated Rock kein Schimpfwort.

Buch: Verwirrte Väter – Robert Habeck. Hier ist Zukunft. Mütter und Väter: Unite statt Neid.

Fernsehen: Polittalkshow gut machen ist schwierig, aber Plasberg (siehe jüngste SPD-Sendung) ist ziemlich großartig.

No Go: „Feuchtgebiete“-Anspielungen. Witze über Trapattonis Fremdsprachenkenntnisse. „Lieber heißes Herz als Hose voll“-Politfolkloreverarsche.

Peter Unfried über CHARTS

Fragen zum Typ? kolumne@taz.de Montag: Kirsten Reinhardt KATASTROPHEN