: Scheitern als Chance
Die Gespräche der Welthandelsorganisation, über die der globale Markt liberalisiert werden sollte, sind vorerst gescheitert. Bietet dies die Chance für eine soziale und ökologische Regulierung?
VON OLE SCHULZ
Die Enttäuschung bei vielen Teilnehmern war groß, obwohl es sich abgezeichnet hatte: Ende Juli scheiterte der bisher letzte Versuch der Welthandelsorganisation (WTO), die seit 2001 laufende sogenannte Doha-Runde zu retten, um den Welthandel weiter zu „liberalisieren“. Weder die reichen noch die armen Länder wollten ihre Märkte radikal für die jeweils andere Seite öffnen. Während die EU etwa die Subventionen ihrer landwirtschaftlichen Erzeugnisse nicht vollständig streichen will, lehnen die 20 wirtschaftsstarken Schwellen- und Entwicklungsländer (G 20) eine weitgehende Öffnung für Industriegüter aus dem Norden ab.
Leidtragende dieses ungelösten globalen Interessenkonflikts werden unter anderem die armen Bauern Westafrikas sein: Solange die Hochsubventionierung der Landwirtschaft in den USA und Europa anhält, sind sie nicht konkurrenzfähig und werden in den Ruin getrieben. Doch auch viele Kritiker des WTO-Liberalisierungscredos befürworten prinzipiell ein multilaterales Abkommen. Denn ohne eine Einigung der internationalen Staatengemeinschaft werden die Versuche starker Wirtschaftsmächte zunehmen, über bilaterale Verträge den Ländern des Südens ihre Bedingungen aufzudrücken. Die durch dramatische Preissteigerungen für Nahrungsmittel verursachte Welternährungskrise wird sich so nicht in den Griff bekommen lassen.
Andere sehen das Scheitern der WTO-Verhandlungen indes als Chance: Laut Alexis Passadakis, Welthandelsexperte im bundesweiten Attac-Koordinierungskreis, ist es an der Zeit, die Doha-Runde „endgültig zu Grabe tragen und einen Paradigmenwechsel hin zu einer sozialen und ökologischen Regulierung der Weltwirtschaft einzuleiten“. Dabei müsse vor allem der Kampf gegen den Hunger durch den Schutz von kleinen Produzenten im Mittelpunkt stehen. Das sei aber nur gegen die WTO-Logik der Marktöffnungen machbar. „Zölle und andere Regulierungen sind essenziell für eine stabile Entwicklung der ländlichen Räume im Süden.“
Tomas Speck vom Fair-Trade-Unternehmen Gepa beklagt hingegen, dass es zu keiner Einigung der Doha-Runde kam. Der Geschäftsführer des größten europäischen Importeurs fair gehandelter Lebensmittel und Handwerksprodukte aus den südlichen Ländern sagt aber auch: „Das Scheitern ist immer noch besser als ein schlechtes Ergebnis.“ Laut Speck liegt der Schlüssel zur Bekämpfung des Hungers „in der Entwicklung einer nachhaltigen, kleinbäuerlichen Landwirtschaft“. Dabei könne der faire Handel ein wichtiger, wenn auch nur „kleiner Baustein“ sein.
Im Juni war Speck zur Anhörung des Landwirtschaftsausschusses über die Welternährungskrise geladen. Der Hunger sei weniger ein Problem der Knappheit von Gütern, führte er dort aus, sondern werde weiterhin „eher durch ungerechte Verteilung von Nahrungsmitteln“ hervorgerufen. Angesichts rasant gestiegener Preise für Grundnahrungsmittel räche sich nun, so Speck, dass die Entwicklungshilfe die Agrarwirtschaft lange Zeit vernachlässigt habe: Durch die Exportorientierung der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern wurde „bei gleichzeitigem Import günstiger, subventionierter Nahrungsmittel aus den Industrieländern die lokale Agrarwirtschaft zerstört“ – und dadurch auch die Versorgung der einheimischen Bevölkerung mit lokal angebauten Grundnahrungsmitteln.
Als Folge dessen müssten viele Länder, die in der Vergangenheit einen Großteil ihrer Nahrung selbst produziert haben, heute Nahrungsmittel importieren und stünden in direkter Abhängigkeit von den schwankenden Weltmarktpreisen. Deshalb müsse diesen Ländern, „die Möglichkeit eingeräumt werden, ihre eigene Bevölkerung vor Hunger zu schützen, sei es durch Importzölle oder Exportstopps“, meint Speck. Solche Schutzmaßnahmen und Subventionen müssten allerdings gezielt und „nicht nach dem Gießkannenprinzip“ eingesetzt werden.
Der faire Handel könne wegen seiner langen, erfolgreichen Erfahrungen ein Modellansatz sein: „Er unterstützt zum Beispiel benachteiligte Produzenten langfristig, steigert deren Erträge und fördert gemeinschaftliche Strukturen“, sagt Speck. Vielleicht noch wichtiger sei, so der Gepa-Geschäftsführer, dass der faire Handel „das Denken der Menschen der Länder des Nordens“ verändere. Das sei vor allem auch deshalb wichtig, weil in den Supermärkten der reichen Länder die „preisaggressive Einkaufspolitik von Importeuren und Lebensmittelgroßhändlern“ dazu beitrage, dass „der „Druck am Ende der Wertschöpfungs- und Lieferantenkette“ lande. Und das seien in erster Linie die Kleinbauern. Ihnen gegenüber stünden die 30 größten Supermarktketten, die weltweit rund ein Drittel des Lebensmittelhandels weltweit beherrschten.
Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis für den deutschen Markt kam eine Oxfam-Studie vom Frühjahr. Demnach sind Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und Metro mitverantwortlich dafür, dass tausende von ArbeiterInnen in Entwicklungsländern zu Hungerlöhnen und unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten. Diese fünf größten deutschen Supermarktketten bedienten 70 Prozent des Marktes und nutzten diese Macht schamlos aus. „Die Supermärkte setzen ihre Einkaufsmacht massiv dazu ein, die Lieferanten im Preis zu drücken“, sagt Marita Wiggerthale, Handelsexpertin bei Oxfam Deutschland. Der durch die Marktkonzentration verschärfte Preisdruck führe dazu, „dass die Lieferanten Arbeits- und Menschenrechte verletzen, um in dem harten Wettbewerb gut abzuschneiden“.
Auch Gepa-Produkte sind bei der Edeka-Kette erhältlich. Doch auf eine Kooperation mit den Lebensmittel-Discountern würde bewusst verzichtet, weil man deren Geschäftspraktiken ebenfalls missbillige, sagt Speck. Oxfam Deutschland empfiehlt, neben Bio- vor allem auch Fair-Trade-Produkte zu kaufen. „Jeder kann dazu beitragen, die Situation zu verbessern, indem er Politik mit dem Einkaufskorb betreibt“, so Wiggerthale.