: DIE ACHSE DES TECHNO VON TOBIAS RAPPZig Farben: Grau
Auch nach gut zwanzig Jahren Techno ist es immer noch erstaunlich, wenn man einen Produzenten nach wenigen Takten erkennt. Autorentechno nennt man das wohl, wenn es einem Künstler gelingt, aus den ewiggleichen Sounds immer wieder neue, aufregende und sofort identifizierbare Tracks zu entwickeln. Im Fall von Peter Kersten kann man sich das so vorstellen: zig Farben Grau, die in immer neuen Melancholie-Abstufungen schimmern. Dunkle Synthesizer-Flächen heben an, eine Bassdrum setzt ein, eine Hihat zischt zurückhaltend und ein Bass beginnt zu pumpen. Der Sommer ist vorbei, ein neues Sten-Album da: „The Essence“.
Seit gut zehn Jahren bringt Kersten unter seinen Pseudonymen Lawrence und Sten Musik heraus, fünf Alben sind es mittlerweile und einige Hände voll Maxis. Wie nur je ein Überzeugungstäter bewegt er sich in einem genau abgesteckten ästhetischen Feld. Seine Liebe gilt den weichen Spielarten des Detroiter Techno, dem frühen Chicago House und einigen signature sounds, die er immer wieder einsetzt: Bei den Lawrence-Platten sind das klingelnde Glöckchen, die ein bestimmtes Festtagsgefühl aufrufen. Aber hölzernes Schlagwerk setzt er gerne ein, Sounds, die klingen, als müssten sie ihre erst in einem dämpfenden Filterraum ihre Melancholiekarte lösen, ehe sie die Platte betreten dürfen.
Auch für „The Essence“ spielt Kersten wieder mit diesen Sounds, immer unterlegt von Basslines, die Dynamik, die Melancholie der Klänge hintertreibt. So kann es jetzt Herbst werden.
Sten: „The Essence“ (Dial/Kompakt)
Das Detroiter Dreieck
Es gibt nicht so übermäßig viele Technoproduzenten, denen das Albumformat liegt. Muss ja auch nicht, Techno ist ein Genre, wo der Einzeltrack zählt, als Vorlage, aus der DJs ihre Sets zusammenbauen. Das Künstleralbum, dieses Kulturprodukt, das Mitte der Sechziger eingeführt wurde, um Musikern die Möglichkeit zu geben, ihre Künstlerschaft zu beweisen – Handschrift, langer Atem, dramaturgisches Können, künstlerische Aussage, kurz: die Fähigkeit, ein „Werk“ zu erschaffen – ist im Techno nur wenigen gelungen. Peter Kersten ist einer von ihnen. Ein anderer ist der Detroiter Kenny Larkin.
In den frühen Neunzigern war er zusammen mit Carl Craig einer der wichtigen Künstler der dritten Welle Detroiter Technoproduzenten – und einer der wenigen, dessen beste Veröffentlichungen immer Alben waren, am spektakulärsten wohl „The Metaphor“, eine Platte, die bis heute den Standard gesetzt hat, wie sich ein Techno-Album aufbauen lässt.
Es ist eine ganze Weile her, dass er seine letzte Platte veröffentlicht hat, mit „Keys, Strings, Tambourines“ ist er nun wieder da, ein schönes Album, das noch einmal das Dreieck zwischen Electro, Jazz und Futurismus aufstellt, zwischen dessen Polen der klassische Detroit Techno entstanden ist.
Das kann sich dann einmal mehr in Richtung Jazz neigen, wie im Titelstück mit seinem Pianolauf, das kann sich nach Kraftwerk und einer neonbeleuchteten urbanen Nachtfahrt anhören, das kann aber auch die wunderbar künstlichen Streicher bemühen, einen alten Detroiter Trademark-Sound.
Kenny Larkin: „Keys, Strings, Tambourines“ (Planet E)
Zurück auf der Spur
Die letzten Jahre haben es nicht übermäßig gut gemeint mit dem Kölner Technolabel Kompakt. In den frühen Nullerjahren noch ganz vorne dabei, fanden Soundentwürfe wie Neo-Disco, Deep-House-Revival, Afterhour-Minimal, Dubtechno oder Großraum-Gebolze ohne entscheidende Kompaktbeteiligung statt. Außerdem dürfte der Strukturwandel der Plattenfirma zu schaffen gemacht haben: Einen mittelständischen Betrieb wie Kompakt trifft der Rückgang der Verkäufe schwerer als ein kleines Künstlerlabel, wo die Platten nur Promotionmaterial für die DJ-Gigs sind.
Doch hört man sich die Labelcompilation „Total 9“ an, die den Output der vergangenen zwölf Monate abbildet, stellt man beglückt fest: Die Krise ist vorbei, Kompakt wieder auf der Spur. Das Label hat einen Sound popifiziert. Sei es Jürgen Paape mit „Come Into My Life“, ein hart an der Grenze zum Frühneunziger Eurodance hingetuschtes Electropopstück, oder Jonas Berings Indiepop-Discoschluchzer „I Can’t Stop Loving You“. Und dann ist da noch Jörg Burgers umwerfendes „Modernism Begins At Home“, eine Coverversion des Frühneunziger Rave-Bretts „The Dominator“, das er in ein zuckersüßes Gitarrenpop-Stück verwandelt. „I’m bigger, I’m bolder, I’m rougher, I’m tougher, In other words sucker, there ain’t no other, I‘m the one and only dominator, I wanna kiss myself“ – ursprünglich eine Hymne auf den amphetamingesteuerten Rave-Narzissmus, jetzt ein melancholisches Abschiedslied.
DJ Koze schließlich steuert mit „Zouzou“ eines dieser verstrahlten Minimal-Meisterwerke bei, das seine Lampen am frühen Morgen zündet.
„Total 9“ (Kompakt)