„Ike“ hinterlässt ein Bild der Verwüstung

Zahl der Opfer des Hurrikans noch unbekannt. Sachschäden werden auf mehr als 11 Milliarden Dollar geschätzt. Millionen Menschen an der texanischen Golfküste ohne Strom und ohne sauberes Trinkwasser. Bush erklärt Texas zum Notstandsgebiet

AUS SOUTHAVEN BETTINA GAUS

Es wird möglicherweise Tage dauern, bis die genaue Zahl der Todesopfer und der Verletzten feststeht, die Hurrikan „Ike“ gefordert hat. Tausende von Häusern sind von Fluten eingeschlossen und können von Rettungskräften nur schwer erreicht werden. Mehr als vier Millionen Menschen sind ohne Strom. Die Reparatur der Leitungen kann nach Angaben der Behörden bis zu einem Monat dauern.

Mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 175 Stundenkilometern war der Hurrikan der Stärke 2 in der Nacht zum Samstag an der Küste von Texas und Louisiana auf Land getroffen. Das war immer noch dramatisch genug. Auf rund elf Milliarden Dollar schätzen Experten die Schäden, die durch den Wind und die anschließende Sturmflut angerichtet wurden. Dächer wurden abgedeckt, in Wolkenkratzern der 80 Kilometer von der Küste entfernten Millionenstadt Houston barsten die Fensterscheiben und knallten auf die Straßen, Bäume stürzten um, Autobahnen wurden überflutet. Mehrere Häuser gerieten in Brand, ohne dass die Feuerwehr eingreifen konnte – die Löschfahrzeuge kamen nicht durch. Das bekannte Luxusrestaurant Brennan’s in Houston brannte völlig nieder.

Etwa die Hälfte der 26 Raffinerien in Texas hatten vor dem Eintreffen des Hurrikans den Betrieb eingestellt. Die Folge: ein sprunghafter Anstieg der Benzinpreise, obwohl die Anlagen nur wenig beschädigt wurden. In Texas wird etwa ein Fünftel des US-Treibstoffbedarfs produziert.

Mehr als zwei Millionen Menschen hatten sich in Texas und Louisiana vor „Ike“ in Sicherheit gebracht und waren in Landesteile gefahren, die von dem Sturm nicht bedroht waren. Zahlreiche andere blieben jedoch trotz dringender Warnungen der Behörden in ihren Häusern – alleine in der besonders schwer betroffenen Inselstadt Galveston etwa 23.000 Einwohner. „Wir sind in dieser Hinsicht alte Hasen“, erzählte Dean Cervenka dem Fernsehsender Fox in einem Telefoninterview. „Unser Haus steht schon seit 50 Jahren, da evakuieren wir nicht.“ Solche Äußerungen dürften die Helfer – unter ihnen 7.500 Angehörige der Nationalgarde –, die derzeit an der größten Rettungsaktion in der Geschichte von Texas beteiligt sind, mit besonderer Freude hören. „Bis jetzt war es einfach“, sagte ein Feuerwehrmann. „Aber die Leichen aufzusammeln wird eine andere Sache sein.“ Mehr als 1.200 Notrufe gingen innerhalb weniger Stunden bei der zentralen Notrufnummer ein. Vielen der verzweifelten Anrufer konnte jedoch zunächst nicht geholfen werden.

In letzter Minute rettete die Feuerwehr fast 300 Menschen in Galveston, die sich erst ganz zum Schluss doch zur Evakuierung entschlossen hatten und bei heftigen Sturmböen durch das Hochwasser wateten. Andere blieben in ihren Häusern, bezweifelten dann aber, ob dies eine wirklich kluge Entscheidung gewesen war: „Es war schon furchterregend. Der Sturm hörte sich an, als ob ein Güterzug heranbraust“, berichtete Curd Lund in einem Telefoninterview.

US-Präsident George W. Bush hat Texas zum Katastrophengebiet erklärt. Das dringlichste Problem ist derzeit die Trinkwasserversorgung. Die Bevölkerung ist aufgerufen, nur gekauftes Wasser aus Flaschen zu trinken, da die Gefahr einer Verunreinigung des Leitungswassers durch die Sturmflut besteht.