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Archiv-Artikel

Bahn funkt mehr

Deutsche Bahn will entlang ihrer Strecken 2.600 Funkmasten errichten. Betroffene haben kaum eine Chance, die Elektrosmog-Türme zu stoppen

aus Lüneburg INA FREIWALD

Als Hans-Jörg Schröder an einem Oktobermorgen aus dem Fenster sah, hätte er gerne noch geträumt. Denn nur einen Steinwurf von seinem Bauernhof entfernt ragte ein Dreißig-Meter-Funkmast der Bahn in den niedersächsischen Himmel. Zwei Jahre hatte er im Schulterschluss mit seiner Heimatgemeinde Deutsch Evern gegen den neuen Nachbarn geklagt. Flugblätter verteilt, Aktenordner gehortet, über 12.000 Euro Prozesskosten aus eigener Tasche bezahlt. Und wenige Wochen zuvor beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg wegen „Abwägungsmängeln“ einen Baustopp erwirkt.

Umsonst. „Durch diese Nacht- und Nebel-Aktion wurde nicht nur mein Recht als Staatsbürger untergraben und der Wert meines Hauses und Grundstückes reduziert“, beschwert sich Schröder. „Wir direkten Anwohner befürchten nach der Inbetriebnahme des Turms auch durch die ununterbrochene Strahlung ernsthafte gesundheitliche Konsequenzen.“

Doch weder medizinische Gutachten noch Gerichtsurteile können die Bahn stoppen. Möglich macht dies das Eisenbahn-Bundesamt – eine dem Bundesverkehrsministerium unterstehende Behörde, die in Fällen wie diesem nach geltendem Recht die juristischen Kritikpunkte prüfen, den „Abwägungsprozess“ nachholen und den Bau freigeben darf. Mark Wille, Pressesprecher der Genehmigungsbehörde: „Das kann durchaus ohne erneute Befragung der Gemeinden stattfinden, da die Einwände bekannt sind.“

Schröders Anwalt Wilhelm Krahn-Zembol, Spezialist für Funkmast-Klagen: „Das ist eine skandalöse Aushöhlung des Rechts. Weil wegen der Entscheidungsbefugnis einer nicht neutralen Instanz keine Rückgängigmachung der Hauptsache möglich ist.“ Im Klartext heißt das: Was steht, bleibt stehen.

Während der Kampf gegen Mobilfunkmasten über 1.300 Bürgerinitiativen mobilisiert, steht Deutsch Evern als Kläger gegen die Bahn bisher alleine da. So kann der Ort mit seinen 4.000 Einwohnern schnell zum Präzedenzfall geraten. Denn mit über 2.600 dieser Basisstationen will das Unternehmen bis Ende 2003 ganz Deutschland vernetzen. Das Global System for Mobile Communications-Rail, abgekürzt GSM-R, gehört zum Netzwerk des Mobilfunkanbieters Mannesmann Arcor. Es soll die Kommunikation zwischen Besatzung und Bahnhöfen verbessern, zum Teil die Zugsteuerung übernehmen und kabelgebundene Anschlüsse ablösen. Anfangs werden 24.500 Streckenkilometer mit dem neuen Funknetz versorgt, bis 2005 sollen alle weiteren analogen Stationen durch die neue Technik ersetzt werden.

Zusätzlich arbeitet die Bahn gerade an einem Konzept, das möglicherweise Mobilfunkanbietern die Nutzung der Masten erlaubt. Die sowieso schon vorhandene Strahlung würde sich damit vervielfachen. „Bei Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte, die dem heutigen Stand von Forschung und Technik entsprechen, ist von keiner Gesundheitsgefährdung auszugehen“, sagt Johannes Schneider, Leiter Programmmanagement im Bereich Telekommunikation der DB Netz AG.

Hartmut Voigt, Leiter des Instituts für Sozial-Ökologische Forschung und Bildung (Ecolog) in Hannover, ist da anderer Meinung. „Da für die neue GSM-R- Technik der Bahn dieselben Grenzwerte von 4,5 Watt pro Quadratmeter wie für den Mobilfunk gelten, sind die gesundheitlichen Risiken vergleichbar hoch.“ Wie viele seiner namhaften Kollegen fordert daher auch der promovierte Physiker eine drastische Herabsetzung der gesetzlichen Grenzwerte. „Um keine Gefahr darzustellen, müsste bei Mobilfunk wie bei GSM-R die Maximalbelastung auf ein Hundertstel Watt pro Quadratmeter heruntergefahren werden.“

Wer sich für strahlengeschädigt hält, steht unter Beweisdruck. Selbst wenn er auf eigene Kosten (ab 500 Euro) Messungen durchführen lässt und eine überhöhte Strahlung auf seinen Lebensraum nachweisen könnte – gesundheitliche Gefahren sind wissenschaftlich nicht nachweisbar. „Die erste Langzeitstudie der WHO an Menschen, die das Risiko von Elektrosmog endlich unwiderlegbar beweisen könnte, ist frühestens 2005 abgeschlossen“, sagt Professor Michael Baumgart, wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Umweltinstituts. „Der bedenkenlose Einsatz elektromagnetischer Wellen muss daher als groß angelegter Menschenversuch bezeichnet werden.“

Der Leiter der GSM-Gruppe des nova-Instituts in Köln Dr. Peter Nießen, geht noch weiter. „Elektrosmog wird als Gefahr erst ernst genommen, wenn es längst zu spät ist. Und seit der Bundesfinanzminister hundert Milliarden Mark bei der Versteigerung der Mobilfunk-Lizenzen kassierte, witzelt man zynisch in wissenschaftlichen Insiderkreisen: Es gibt hundert Milliarden Gründe, die Grenzwerte nicht zu ändern.“