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Archiv-Artikel

Paläste der Republik

Vor 50 Jahren konnten Mieter an die neue Stalinallee ziehen, die „erste sozialistische Straße Deutschlands“

„Für mich war es eine Traumwohnung“, schwärmt noch heute so manch Bewohner der Karl-Marx-Allee, die bis 1961 „Stalinallee“ hieß. Kein Wunder, denn wahre Wohnpaläste ersetzten hier Anfang der 50er die Kriegsruinen. Nachdem mehr als zwei Drittel der Bausubstanz im Arbeiterbezirk Friedrichshain zerstört waren, entstanden an der Stalinallee Neubauten mit allem Komfort: Badezimmer, Zentralheizung, Fahrstuhl. Mit der „ersten sozialistischen Straße Deutschlands“ wollte die junge DDR die Überlegenheit des Kommunismus und seine Wohltaten für die Arbeiterklasse beweisen.

Stadtplaner und Architekten wurden nach Moskau geschickt, um die städtebaulichen Erfolge des Stalinismus vor Ort zu studieren. Gemeinsam erarbeiten die Experten 16 „Grundsätze des Städtebaus“, in denen es heißt: „Die Architektur muss dem Inhalt nach demokratisch und der Form nach national sein.“ Der städtebaulichen Paradigmenwechsel gelang ausgerechnet einem jungen Architekten aus dem Umfeld von Hans Scharoun und Max Taut – wenn auch erst im zweiten Anlauf. Hermann Henselmann, der spätere Stararchitekt der DDR, integrierte Berliner Bautradition in monumentalen Klassizismus und setzte mit seinem Wohnhochhaus an der Weberwiese südlich der Karl-Marx-Allee den Standard für die gesamte Magistrale.

Fünfzehn Monate später, pünktlich zum Geburtstag Stalins am 21. Dezember 1952, sollte der Vorzeigeboulevard fertig sein. Das konnte nur mit Hilfe von Freiwilligen gelingen, denn im regulären Volkswirtschaftsplan war das Mammutprojekt nicht vorgesehen. Im Neuen Deutschland rief deshalb die SED am 21. November 1951 zum „Nationalen Aufbauprogramm“. Eine Lotterie sollte Berliner aus Ost und West motivieren: Für 100 Schichten zu je drei Stunden erhielt man ein Los; die Gewinner durften eine Wohnung beziehen. Betriebe vergaben zudem Kontingentwohnungen an ihre „Aktivisten“ und „Bestarbeiter“. Teils aus Überzeugung, teils, um eine der begehrten Neubauwohnungen zu ergattern, leisteten allein 1952 zehntausende Freiwillige mehr als vier Millionen Aufbaustunden. Zwar waren Materialmangel und Planungsfehler an der Tagesordnung. So wurden die Außenkacheln aus Meißner Keramik im Winter bei zu großer Kälte verlegt und fielen zur Schadenfreude der Spötter schon bald reihenweise wieder von den Wänden. Dennoch konnten unter großem Propagandagetöse am 7. Januar 1953 die ersten 70 Mieter in der Stalinallee einziehen. Noch heute betonen die Erstbewohner, dass damals in der Mehrzahl nicht etwa Parteifunktionäre hier wohnten, sondern „alles querbeet: Bauarbeiter, Meister, Lehrer und Intellektuelle“. SONJA BONIN

In einer Ausstellung porträtieren die Journalistin Ylva Queisser und die Fotografin Lidia Tirri Menschen, die seit 50 Jahren in der Karl-Marx-Allee wohnen. Eröffnung: heute, 19 Uhr, Frankfurter Allee 12. Bis 22. Februar: Di.–Fr. 16–20 Uhr, Sa.–So. 14–20 Uhr