: Auf die Pfanne gebracht
Allen geht es schlecht. Selbst Pfandhäuser haben nichts zu lachen. Im Leihhaus von Klaus Grohmann stapeln sich zwar die Geräte und Klunker, aber immer weniger Leute lösen ihr Pfand wieder aus
von ANNE HAEMING
„Berlin wird Weltstadt“ – ein Buchtitel, der in seiner Originalität nicht überrascht. Auch das erste Kapitel bringt niemanden zum Stutzen, Überschrift: „Das Leihamt“. Mit diesem Einstieg scheint die aktuelle Berliner Gemütslage präzise umschrieben. Bemerkenswert ist allerdings, dass der Publizist Robert Springer schon 1869 die Priorität des Berliner Geldproblems erkannte. Zu seiner Zeit stand in fast jeder Straße ein privates Pfandhaus.
Knapp 130 Jahre später ist Berlin laut Eigenreklame immer noch auf dem Weg zur Weltstadt. Und nur eines der Kredithäuser hat die florierende Zeit Robert Springers überdauert. Das Leihhaus am Görlitzer Bahnhof ist ein kiezbekannter Familienbetrieb, die lorbeerumkränzte 1875 auf dem Firmenschild strahlt vor Tradition. Genauso Klaus Grohmann, haarsträhnenumrankt und Inhaber. Er ist zwar nur eingeheiratet, aber das vergilbte Schwarz-Weiß-Foto zeigt er trotzdem stolz. „Das waren die Anfänge.“ Er deutet auf ein kleines Schild am grauen Haus. Über der Plättfabrik steht: „Pfandleihe 1. Treppe rechts“.
Noch heute müssen die Kreditbedürftigen durch den Hof und die Stufen hoch, auch die Ladeneinrichtung erinnert an Chaplins Stummfilm „Das Pfandhaus“. „Früher waren alle Leihhäuser im ersten Stock“, erzählt Grohmann. „So konnte nicht jeder reingucken und seinen Nachbarn entdecken.“ Motto: nur keine Hemmungen, potenzielle Kunden! Das habe sich aber längst geändert, meint Grohmann: „Ins Pfandhaus zu gehen ist inzwischen ganz normal, die meisten präsentieren ihre Waren längst im Erdgeschoss.“ Zu ihm finden die Kunden auch ohne Blickfänger. Von Geldsorgen schwere Schritte haben den Treppenteppich längst aufgerieben.
Die Last des Kummers ist eine Sache – das Gewicht der zu verpfändenen Kostbarkeiten eine andere. Theoretisch nimmt Grohmann zwar neben Schmuck auch technische Geräte, aber nicht alle. „Alles, was größer ist als ein tragbarer Fernseher, nehme ich nicht. Meine Damen müssen das ja auch noch tragen können.“ Außerdem muss er überprüfen, ob das Pfand ordnungsgemäß funktioniert. „Einer wollte mal seine Waschmaschine vorbeibringen.“ Grohmann winkt lachend ab. „Wie hätte ich die Programme testen sollen? Ein anderer rief an und wollte eine Hüpfburg verpfänden. Das geht natürlich nicht.“
Vor der Scheibe aus Sicherheitsglas steht ein junger Mann, behutsam schält er aus einer großen schwarzen Etuitasche ein sperriges Ding. Es ist eine E-Gitarre, knallrot. „Achtung, passen Sie auf die Saiten auf“, bittet der punkige Kunde. Diesmal macht Grohmann keine Testspiele. Die Seriennummer wird notiert, der Zustand des Instruments begutachtet, ein paar Sekunden später zieht der junge Mann mit dem pastellgelben Pfandschein und einem Bündel Geldscheine von dannen.
Die Gitarre verschwindet zu all den anderen Videorekordern, CD-Playern, Brillantringen und gewichtigen Geschmeiden hinter den grünen Vorhang. Einen Blick in den Fundus gewährt Grohmann niemandem, „wegen der Versicherung“. Der kleine Vorraum füllt sich, Mütter mit ihren Kindern, ältere Herren mit Baumwollbeutel, gestylte junge Türkinnen drängen sich vor den beiden Schaltern. „Will jemand auslösen oder verlängern?“ Grohmann bringt Ordnung ins Chaos. Aber keiner der vierzehn Kunden ist flüssig, alle wollen Sachen „auf die Pfanne bringen“. Sie sind bepackt mit Fotoapparaten, Ferngläsern und Familienschmuck. Es ist Monatsanfang. Eigentlich haben die Leute jetzt Geld, um ihr Pfand auszulösen. Aber seit gut einem Jahr holen immer weniger ihre Sachen wieder ab, erzählt Stephan Goebel, Vorsitzender der Vereinigung Privater Pfandkreditbetriebe Mitteldeutschland. „Momentan sind es ungefähr zehn bis elf Prozent der Kunden, die ihre Pfände aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr auslösen können, Tendenz steigend. Letztes Jahr waren es nur sieben bis acht Prozent.“ Die Art der Klientel habe sich in den vergangenen Monaten nicht verändert, meint der Vorsitzende. Arbeitslose Internetmillionäre, die auf einmal ihre Bang & Olufsen-Anlage verpfänden müssen, spielen keine Rolle. Und die alte Mär von den Leihhäusern, die ein gutes Geschäft machen, wenn es allen anderen schlecht geht, stimme wirklich nicht. „Wir leiden mit der Wirtschaft mit“, betont Goebel. Schließlich profitieren die Pfandleiher nur, wenn die Kunden ihren Kredit samt Zinsen zurückzahlen können. Bleibt das Pfand liegen, müssen die Kreditgeber innerhalb von zehn Monaten eine Auktion veranstalten – ein Geschäft macht man damit nicht.
Was ist wie viel wert? Diese Frage ist nicht nur für Auktionen wichtig. Vor allem diesseits des Sicherheitsglases wird so gerechnet. Doch wie viele Scheine Grohmann letztendlich unter der Scheibe durchschiebt, hängt nicht nur vom Zustand der Waren ab. Besonders bei den technischen Geräten ändern sich die Richtwerte dauernd, nicht von ungefähr stapeln sich bei Grohmann die Werbeprospekte der Elektronikkaufhäuser. „Früher galt: pro Watt ’n Groschen.“ Heute muss er regelmäßig die Faltblätter wälzen, um die Marktlage zu kennen. Veraltete Produkte fallen nach und nach aus dem Sortiment. Pelze nimmt er seit langem nicht mehr, und Pferde konnten wohl nur zu Springers Zeiten verpfändet werden.
Doch egal wie blank eine Bohrmaschine blitzt oder wie viel Omas diamantene Brosche wert ist: Wer dem Geschäftsmann nicht kreditwürdig erscheint, bekommt gar nichts, bei anderen, bekräftigt Grohmann, „würde ich sogar einen Mauerstein beleihen“. Er hat einige sehr gute Kunden, die ihre Sachen pünktlich und anstandslos auslösen – manche kommen seit Jahren und verpfänden immer den gleichen Gegenstand. Rund 60 Prozent sind Stammkunden, schätzt der Pfandverband.
Auch der zahnlose Rentner, der Grohmann gerade einen liegen gebliebenen CD-Spieler abgekauft hat, ist ein alter Bekannter. „Ich komme schon seit dreißig Jahren hierher. Früher, als es mir dreckig ging, habe ich oft meine Uhr verpfändet, für fünfzig, sechzig Mark“, erzählt der Alte.
Zuerst geldklamm, jetzt flüssig – eine Entwicklung, die hoffen lässt. Ob die Zahl der Leihhäuser einen positiven Einfluss auf Berlins erstrebtes Megapolis-Flair hat, ist allerdings fraglich. Die Hauptstadt hat achtzehn, in den neuen Bundesländern gibt’s insgesamt nur acht.