: Wer stürzt, verdreckt
Schlamm und Regen beherrschen die Bühnenbilder in immer mehr Inszenierungen. Woher die neue Wetterfühligkeit? Klimawandel? Neuer Naturalismus? In Berliner Theatern suhlt man sich im Matsch
VON EVA BEHRENDT
Es liegt was in der Luft. Seit fast zwei Jahren schon zermürbender Nieselregen bei Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ am Maxim Gorki Theater. Schwere Schauer über Meg Stuarts nässetriefender Choreografie „Blessed“, seit letzter Spielzeit immer wieder im Volksbühnen-Repertoire. Und jetzt auch noch Sprüh- und Platzregen, der die frisch gepflügten Äcker, auf denen die jüngsten Shakespeare-Inszenierungen von Michael Thalheimer und Thomas Ostermeier spielen, in Schlammgruben und Rieselfelder verwandelt. Am Ende verbeugen sich tropfnasse, verdreckte Spieler, denen man herzlich ein warmes Erkältungsbad wünscht.
Was verbirgt sich hinter der neuen Wetterfühligkeit? Forsche Statements zum Klimawandel, ein Comeback des Naturalismus oder – wenn Matsch ins Spiel kommt – doch nur die Lust, Hochkultur ordentlich in den Schmutz zu ziehen? Tatsächlich kann nicht nur Olafur Eliasson, sondern auch das deutsche Stadttheater Natur im Kunstraum inszenieren: Wie keine zweite hat die Bühnenbildnerin Katrin Brack in den letzten Jahren ausgetüftelt, wie man bei Zimmertemperatur Schneefall simuliert (Percevals „Molière“), Kunstnebelschwaden gezielt durch den Raum wallen lässt (Gotscheffs „Iwanow“) oder eben Dauerregen durch variable Sprühdüsen und Lichtspiele gestaltet („Homburg“).
Brack hat den Niederschlag im Theater zwar nicht erfunden, aber minimalistisch ins Zentrum des Geschehens gerückt. Dort ist er sich selbst genug und kann noch mehr bedeuten: Der sadistische Nieselregen etwa, in den Brack und Regisseur Armin Petras den rechtsradikalen Prinzen stellen, fordert vom Ensemble ebenjene militante Disziplin, um die es (auch) bei Kleist geht. Vor allem aber schafft er im Verein mit den Böhsen Onkelz („Ich lass es Tränen regnen“) eine gefühlige Atmosphäre von Depression und Selbstmitleid, die eher das postsozialistische als das friderizianische Brandenburg beschreibt.
Während das Klima auf Brack-Bühnen meist auch ein installatives Eigenleben führt, geht der bei Ostermeier und Thalheimer sich abzeichnende Schlammtrend in eine andere Richtung. Im Zelt des Deutschen Theaters steht das mit Humus gefüllte, würzig duftende Podest, gut sichtbar aus einer einfachen Vorrichtung benässt, für die tiefste Provinz Illyriens, in der jeder den Falschen begehrt. Doch Thalheimer und seinem Bühnenbildner Olaf Altmann geht es nicht nur um die Übersetzung von Shakespeares erotischer Verwechslungskomödie „Was ihr wollt“ in ein sinnliches Bild, sondern auch um die praktische Konsequenz, die so ein Untergrund für die Performance hat: Erde schmatzt an Sohlen, Gänge werden schwer, Rocksäume saugen sich voll. Wer stürzt, verdreckt. Auch wenn die Akteure sichtlich um Würde ringen, muss hier jeder shakespearegemäß Schwein sein – dieser Effekt stellt sich quasi „authentisch“ ein.
Auch für Lars Eidingers Hamlet könnte die acht mal acht Meter große Torffläche, die Jan Pappelbaum auf die Schaubühne geschippt hat, eine Einladung zum Schlammcatchen sein. Zunächst dient sie einfach als Friedhof, auf dem sein Vater im Beisein der Mörder begraben wird. Es gießt aus dem Gartenschlauch, Schirme werden aufgespannt, Musik schwillt an – ein grandioses Mafiafilmszenario. Doch das Pathos mündet unversehens in Slapstick, wenn der Sarg nicht versinken will, wenn Totengräber und letzte Gäste sich im Schlauch verheddern und bäuchlings in den Morast klatschen. Leider hat Ostermeier damit schon alles Pulver verschossen, die spannungsvolle Nähe von Leben und Tod auf dem Gottesacker ausgespielt: von nun an dient er als Deko-Element.
Matsch und Regen erlösen keinen, der nicht genau weiß, was er erzählen will. Als Gefühlsverstärker und Sinnlichkeitspumpe für kanonische Dramen könnte die theatrale Biowelle sich deshalb bald verschleißen. Und wenn das schlechte Wetter selbst Gegenstand der Kunst wird? Auch Meg Stuarts „Blessed“ scheint da keine Lösung. Auf den großen Regen folgen die Klischees: Das Katastrophenopfer verkriecht sich in Trümmern, ein Designer castet ihn für seine Kollektion, die Samba-Tänzerin lächelt hoffnungsfroh. Umso faszinierender sind die drei Papp-Skulpturen, auf die Doris Dziersk es zuvor eine unerbittliche halbe Stunde lang schütten lässt: Hütte, Palme und Schwan saugen sich voll und sterben, je nach Stabilität, einen langsamen, schönen Tod. Manchmal macht die Natur selbst im Theater Ernst.