: „Ich will Bier seh‘n…“
Tobias Schacht, der Junge mit der Gitarre, kann bei seinem Bremer Konzert auf die Vormachtstellung der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung im Fanblock des Weserstadions bauen. Schont er deshalb sein Instrument für den Grand Prix?
„Ausziehen, ausziehen, ausziehen“ – die versammelte Bremer Leserschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) begrüßte Tobias Schacht alias „Der Junge mit der Gitarre“, den Helden ihrer Zeitung, am Samstagabend Punkt 21 Uhr im Tower mit herzlichem Johlen. DJMG, so sein Kürzel, soll beim deutschen Vorausscheid für den Grand Prix d‘Eurovision de la Chanson das Fähnchen der FAS hoch halten. Bremen, so hofft Schacht, ist für ihn bloß ein Zwischenstopp auf dem Weg nach Riga.
Auch wenn der sich erst gegen Ende des Konzertes das Sweat-shirt vom Leib riss, um mit freiem Oberkörper noch einmal sein Letztes zu geben, hatte er sich bis in die Tiefen seiner Seele doch längst entblößt. Pur und so was von ungeschminkt hatte der 27-jährige Singersongwriter seine Lieder vorgetragen und sich selbst dazu auf der Lagerfeuerklampfe begleitet – ohne Schlagzeug, ohne Bass und selbstverständlich auch ohne doppelten Boden.
Musikalisch untermalen Punk, Schlager, Reggae und natürlich Pop querbeet die Texte, in denen es stets um die ganz großen Gefühle („Nur die Liebe zählt“) und Sehnsüchte – sprich: die Absurditäten des Lebens – geht. „Ich hab Aids, ich hab Tripper und im Fuß hab ich ‘nen Splitter…“, erfährt das Lyrische-Ich nach der ersten Liebesnacht von seiner Partnerin. Tatsächlich: Schachts von der FAS gefeierte Humor ist dem Jürgen von der Lippes ebenbürtig. Da drängt sich die Frage auf, ob so einer tatsächlich Nicoles weiße Gitarre als Talisman braucht, um die FAS-Redakteur Alexander Marguier die Schlagersängerin erst kürzllich flehentlich bat?
Eindrucksvoll allerdings wie souverän sich der Chor von rund 200 begeisterungsfähigen Junglesern formierte. Absolut im Stande, die Texte des Barden fehlerfrei mitzuträllern, dichteten sie, eigenmächtig kreativ, hier und da gar ein bisschen um.„Meer sehn“ etwa, der Sommerhit, der den Jungen mit der Klampfe vergangenes Jahr schon ein bisschen berühmt gemacht hat, wurde da zu „Bier sehn“ – „ich will Bier sehn immer Bier sehn, immer mehr vom Bier sehen…“, sang Schacht dann auch selber und grinste verschmitzt.
Ja, da war sie, diese Nähe zum Publikum, der Dialog mit den Fans, den man bei großen Rockshows oder bei „Top of the Pops“ so schmerzlich vermisst. Da steht, denken einträchtig Zuschauer und Zuschauerin, wirklich jemand auf der Bühne, der einer von uns sein könnte, ja ist. Einer, der Bier mag, und doch auch guten Journalismus.
Zumindest sonntags und hübsch bunt aufbereitet: In der Südkurve des Weserstadions, so heißt‘s, ist die FAS längst meistgelesene Zeitung. Das macht sich nun für ihren Kammersänger bezahlt.
Mein Gott, ja, es wurde sogar gepogt, bei diesem Sologitarrenkonzert mit höchstem Punkrock-Faktor. Nichts fehlte, was Guns ‘n‘ Roses nicht einst vorgemacht hätten. Da war ein zum Klatschen und Singen animiertes Publikum: „Jetzt nur die Jungs – dann nur die Mädchen, jetzt alle oh, ohoh, ohohoh…“ Toll.
Da gab es auch den sich auf die Knie stürzenden Gitarrero die jungen Mädchen, die wie bei Bruce Springsteens „Dancing in the dark“-Video zum Tanzen auf die Bühne geholt werden („na, wie machen sich die Mädels?“) und so weiter, und so weiter. Bräuchte er sein Instrument nicht noch für der Rest der Tournee – ja, und natürlich: für den Vorentscheid des Grand Prix d‘Eurovision de la Chanson! –, Schacht hätte die Gitarre diesmal angezündet, ganz ehrlich!
Aber bislang scheint Nicole auf die FAS-Bitte noch nicht reagiert zu haben. Und da ist dann wirklich Vorsicht geboten: Ohne Instrument wäre der Junge mit der Gitarre nicht er selbst. Er wäre nicht mehr der Junge mit, sondern vielmehr nur noch ohne Gitarre. Und das, so viel steht fest, wäre kein guter Name.
Jörg Fischer