: Aufforderungen/Erinnerungen
Finanzämter: Bildet Netzwerke!
Einen guten Vorsatz für 2003 habe auch ich: gleich zu Jahresanfang meine Steuererklärung einreichen, damit ich meine Rückerstattung bekomme, bevor Berlin völlig zahlungsunfähig ist. Währenddessen herrscht in den Finanzämtern der Pleite-Metropole eifriger Aktionismus. Nach dem Motto „Schüttelt den Leuten den letzten Cent aus der Hosentasche!“ werden staubige Akten aus den Katakomben der Schreibstuben gegraben und zu Weihnachten Mahnungen verschickt.
„Sehr geehrt … bla … die Einkommensteuererklärung für 2001 ist hier bisher nicht eingegangen. Bitte reichen Sie die oben genannte Steuererklärung … bla … spätestens bis zum … bla … damit weitere Maßnahmen (z. B. Schätzung) vermieden werden.“ Absender Finanzamt Kreuzberg, das übrigens zu den angegebenen Sprechzeiten telefonisch kaum zu erreichen ist.
Wieso Kreuzberg? Dort wohne ich seit zweieinhalb Jahren nicht mehr und habe mich pflichtgemäß bei unseren Ordnungshütern abgemeldet. Wieso Erklärung für 2001 – habe ich die nicht bereits im März an das Finanzamt Neukölln-Nord geschickt? Ende Mai wurde mir auch recht flott bestätigt, dass bei mir wohl leider nichts zu holen ist.
Ende Juli „erinnerten“ mich die Beamten aus Neukölln-Süd an die Abgabe der Steuererklärung. Ebenfalls in einem mit 56 Cent frankierten Brief. Da in Neukölln rauere Sitten herrschen, drohten sie gleich mit der „Auferlegung eines Zwangsgeldes (§ 328 AO) und einem „Verspätungszuschlag bis zu 10 v. H. der festgesetzten Steuer (§ 152 AO)“.
Im Gespräch war der Süd-Neuköllner Sachbearbeiter dann allerdings erstaunlich kulant. Er rügte mich lediglich, weil ich meine Erklärung an das falsche Amt gesandt hatte. Seine nördlichen Kollegen hätten ohne Zuständigkeit festgestellt, dass einem nackten Mann nicht in die Tasche zu greifen ist. Trotzdem war der Beamte bereit, den Bescheid zu akzeptieren. „Können Sie mir das Schreiben faxen?“, fragte er versöhnlich. „Nein, kann ich leider nicht“, antwortete ich und dachte an den Euro, den mir der Copyshop dafür abknöpfen würde. So nahm der Steuereintreiber die Mühe auf sich, selbst mit dem Nord-Neuköllner Nachbaramt in Verbindung zu treten, „für Sie ist die Sache damit erledigt“, brummelte er, sichtlich in seinen üblichen Abläufen gestört.
Ich wollte mich gerade mit meiner Erklärung für 2002 plagen, als am 27. Dezember die Sachbearbeiter im Kreuzberger Finanzamt merkten, dass sie mich 1999 kräftig geschröpft hatten. Seitdem hatten sie sich zwar nicht mehr um mich gekümmert, aber man kann es ja mal wieder versuchen … Nach zahllosen vergeblichen Anrufen meldet sich eine freundliche Sachbearbeiterin, „ja, in Ihrer Akte steht, dass Sie 1999 bei uns gemeldet waren, und bei uns haben Sie sich nicht abgemeldet“. Trotzdem erlaubte sie mir, die „Aufforderung/Erinnerung“ „sofort zu zerreißen“. Das werde ich nicht tun, das hübsche Schreiben ist sicherlich noch zu irgendetwas gut …
Jetzt beschleicht mich ein Verdacht. Hat Thilo Sarrazin an seine Steuereintreiber die Parole ausgegeben: „Schaut unter jeder Matratze nach, ob da nicht noch ein paar Euros versteckt liegen!“, um die Berliner „Eigenbemühungen“ zur Haushaltskonsolidierung zu demonstrieren? Ich oute mich als Journalist und will die Ämter nach dem Grund für ihre plötzliche Umtriebigkeit fragen. „Die Finanzämter haben keine Pressestelle, da müssen Sie sich an die Oberfinanzdirektion wenden“, erklärt mir der Herr in der Telefonzentrale. Gut, die Sprecher sind zwar nicht zu erreichen, aber eine – wider Erwarten gut gelaunte – Dame. Freundlich klärt sie mich darüber auf, dass die Berliner Finanzämter nicht untereinander vernetzt sind. Daher wisse auch das eine Amt nicht, was das andere tut. „Die Ämter dürfen sich auch nicht untereinander kurzschließen.“
Kurz denke ich mit Unwohlsein an die unkoordinierte Hektik der Steuereintreiber in den Spinnweben der preußischen Verwaltung. Nein, jetzt mache ich endlich meine Erklärung für 2002, damit ich – vielleicht in einem halben Jahr – ein paar Euro zurückbekomme. Jedes einzelne Finanzamt, das die Erklärung haben will, bekommt sie dann noch mal. Jede Mahnung wird gerne beantwortet.
Mit drei-, vier- oder fünffacher Rückerstattung würde das Berliner Chaos recht sympathisch …
P.S.: „Aus Gründen der Haushaltsersparnis werden im Land Berlin keine Steuererklärungsvordrucke mehr versandt. Die entsprechenden Vordrucke erhalten Sie im Rahmen der Sprechzeiten bei jedem Finanzamt. Eine Übersendung der Vordrucke ist nur gegen Voreinsendung von Briefmarken im Wert von 1,53 EUR möglich.“ So viel zum Thema „Bürgernähe“ des aufgeblähten Berliner Verwaltungsapparats. Wer darauf keine Lust hat, kann sich die Formulare auch einfach kostenlos auf der kommerziellen Site www.formblitz.de downloaden und am Rechner ausfüllen …
STEFAN KNOBLICH