: Reformantrieb ist der maximale Profit
Auch wenn die Wirtschaftsverbände bei ihren Forderungen Beschäftigungsziele nach vorn stellen, sind sie doch nuran weniger Beteiligung an gesellschaftlichen Kosten und mehr Freiheit interessiert – zugunsten der eigenen Gewinne
HAMBURG taz ■ Der Ton wird rau in Deutschland. „Die Politik zerstört die Pharmaindustrie“, schimpfen Unternehmerverbände auf die Bundesregierung. Oder: „Es läuft die größte Arbeitsplatzvernichtung der Nachkriegszeit.“ Das Kapital ist unzufrieden mit der Wirtschaftspolitik – und das ganz grundsätzlich.
Nur scheinbar sorgt sich der Bundesverband deutscher Banken (BdB) dabei vor allem um die Werktätigen: „Die hohe Arbeitslosigkeit bleibt das zentrale Problem“, die Hartz-Reform schaffe keine neuen Jobs, heißt es. Hinter dieser sozialen Fassade geht es aber richtig zur Sache: Die neoliberale Offensive will die Steuerlast radikal abbauen, die Sozialsysteme zerstören, den Arbeitsmarkt enthemmen und den Staat klein hacken.
An erster Stelle der „Reformagenda für die Legislaturperiode 2002–2006“ hat der Bankenverband die Steuerpolitik gestellt. Schließlich wollen die meisten Unternehmer nur das eine: mehr Profit. Die Steuerpolitik habe einen „entscheidenden Einfluss“ auf die Wettbewerbsfähigkeit und darum müssten die Steuersätze nochmals „deutlich“ gesenkt werden. Und Verbandspräsident Rolf Breuer unterstreicht: Man sei „nicht verteidigungslos“. Wenn die Bundesregierung nicht reagiere, fliehe das Kapital eben ins Ausland.
Wie erfolgreich solche Drohungen sind, zeigt ein Blick auf die durchaus wirtschaftsfreundliche Steuerpolitik der Bundesregierung. Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) rühmt sich, den Höchststeuersatz von rund 50 auf 42 Prozent zu senken, und der Körperschaftsteuersatz steht mit 25 Prozent ebenfalls auf dem niedrigsten Stand seit Menschengedenken.
Solche Dumpingsteuern reichen den Wirtschaftsverbänden jedoch nicht aus. Sie wollen beide Steuersätze angleichen. Bruttogewinne sollen also – soweit nicht durch Abschreibungen, Rückstellung oder Aktivierung früherer Verluste ohnehin steuerfrei – höchstens noch mit 25 Prozent versteuert werden.
Gute Gewinne sind heute nicht mehr gut genug, Ziel ist es, Profite wie in einigen anderen Ländern zu erzielen. So erwirtschaftet in Deutschland ein Unternehmer für 1 Euro Lohn 4,29 Euro. In Großbritannien sind es 4,70, in Frankreich 5,83 und in Portugal sogar 8,89 Euro. Damit das hiesige Großkapital dahin kommt, müssen Arbeitnehmer und Verbraucher zahlen.
Die erwünschten Steuersenkungen würden den Staat in die Pleite treiben. Die Antwort der Konzerne ist ein verkleinerter Staat, der sich nur noch um seine Kernkompetenzen kümmert: Justiz, innere Ordnung und Außenpolitik. Die Steuerausfälle sollen so durch geringere Staatsausgaben mehr als ausgeglichen werden. Da aber bislang mit einem Großteil der Staatsausgaben die Sozialsysteme finanziert werden, laufen die Wirtschaftsforderungen auf einen sozialen Kahlschlag für die untere Hälfte der Bevölkerung hinaus. So fordert der Industrieverband BDI in seinem auf das Jahr 2010 ausgerichteten Programm „Für ein attraktives Deutschland“, den Staatskonsum – also auch Zuschüsse für Renten- oder Arbeitslosenversicherung – zu senken und bei allen Sozialsystemen Leistungen zu kürzen. Die Handelskammer Hamburg will sogar den vollständigen Wegfall der Arbeitslosenversicherung. Die Menschen sollen stattdessen „soziale Selbstverantwortung“ übernehmen und Lücken durch private Versicherungen und private Altersvorsorge schließen.
Wenn die Profite praktisch steuerfrei sind und die Produktionskosten dank sinkender Lohnnebenkosten fallen, ärgert sich die Wirtschaft trotzdem noch über den Faktor Arbeit. Hierzu fordern Unternehmerverbände eine „drastische Flexibilisierung“ mit Eingriffen in die Tarifpolitik und Kündigungsschutz.
Dieses politische Programm brächte den Verlierern Stundenlöhne von 3 Euro, Kündigungsfristen wie im Wilden Westen und null Arbeitslosenschutz, die Sieger dürften sich über volle Kassen in einer anderen Republik freuen. HERMANNUS PFEIFFER