piwik no script img

Archiv-Artikel

Dr. Nimmersatt

Zu hohe Abrechnungen und überflüssige Spritzen: Staatsanwaltschaft fordert Haftstrafe für Betreiber des privatärztlichen Notdienstes 19242

Die „Pille danach“ als psychotherapeu-tisches Gespräch abgerechnet

von ELKE SPANNER

In einem der größten Fälle ärztlichen Abrechnungsbetruges, der je vor Gericht verhandelt worden ist, hat die Hamburger Staatsanwaltschaft gestern eine mehrjährige Haftstrafe für den Betreiber des „privatärztlichen Notrufes 19242“ verlangt: Drei Jahre und neun Monate Haft forderten die Ankläger für Tammo Bialas, der in rund 8700 Fällen nicht erbrachte Leistungen abgerechnet, andere ÄrztInnen zum Betrug angestiftet und PatientInnen mit Medikamenten behandelt haben soll, die medizinisch nicht erforderlich waren. Dabei wurden nur noch die angeklagten Fälle berücksichtigt, die sich in Hamburg abgespielt haben. Und weil viele der Taten bereits vor Jahren begangen worden sind, wurde das verlangte Strafmaß erheblich abgemildert.

1994 hatte Bialas den Notdienst gegründet, in dem er selber als Geschäftsführer und Arzt tätig war. Obwohl die Firma in den ersten beiden Jahren Verluste eingefahren hatte, expandierte Bialas ins Bundesgebiet: 1996 kamen Niederlassungen in Berlin, Hannover, Düsseldorf und Frankfurt hinzu. Um diese finanzieren zu können, habe er laut Staatsanwaltschaft den beschäftigten MedizinerInnen verordnet, so viele Leistungen wie möglich abzurechnen – auch wenn diese gar nicht erbracht worden sind. „Der Angeklagte hat gehandelt, um sein von vornherein nicht lebensfähiges Unternehmen am Markt zu halten und um sich persönlich zu bereichern“, so der Staatsanwalt im Plädoyer.

Bialas habe einen Katalog mit Leistungen erstellt, die routinemäßig bei jedem Arztbesuch in Rechnung gestellt wurden. So sollten die NotärztInnen stets für ein Gespräch kassieren, in dem „die Auswirkungen der Krankheit auf die weitere Lebensgestaltung“ erörtert worden sein sollen – auch, wenn sie wegen eines grippalen Infektes gerufen worden sind. Außerdem sollten sie jedes Mal einen ausführlichen Krankheits- und Befundbericht abrechnen, obwohl es für diesen Vordrucke gab. Und: Sie sollten bei allen PatientInnen eine „psychiatrische Behandlung durch ein psychotherapeutisches Gespräch“ angeben. Diese Ziffer in der Gebührenordnung, so der Staatsanwalt, setze eine psychiatrische Erkrankung des Patienten und eine psychiatrische Zusatzausbildung des Arztes voraus. Bialas hat es auch abgerechnet, als er einer Frau die „Pille danach“ gegeben hat.

Bialas selbst bestritt, betrogen zu haben. Das Konzept seines Notdienstes habe darauf basiert, bei den Arztbesuchen gute Qualität zu bieten, und da er dafür keine Entsprechung in der Gebührenordnung gefunden habe, habe er diese eben analog angewandt. „Wenn Sie meinen, dass die Gebührenordnung unzureichend ist“, hielt der Staatsanwalt ihm gestern entgegen, „müssen Sie gesundheitspolitisch tätig werden. Solange sie nicht in Ihrem Sinne geändert ist, haben Sie sich daran zu halten“.

Der Prozess wird kommenden Mittwoch mit den Plädoyer von Bialas Verteidigern fortgesetzt. Das Urteil des Landgerichts wird Anfang Februar erwartet.