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Archiv-Artikel

Rechte ausgetanzt

Capoeira-Meister in Treptow von zwei Männern angegriffen. Er schlägt sie zu Boden. Polizei schließt einen ausländerfeindlichen Hintergrund nicht aus

von ANTJE LANG-LENDORFF

Manchmal sind die Geschichten, die das Leben schreibt, besser als jedes Drehbuch. In der Nacht vom Sonntag auf Montag wurde der Brasilianer Leo Gonçalves in Treptow von zwei Männern angegriffen, die seiner Meinung nach gedrillte Ausländerjäger waren. Was die beiden nicht wussten: Gonçalves ist Meister des brasilianischen Kampftanzes Capoeira. Er versuchte erst zu fliehen. Als ihn die Männer jedoch verfolgten, ließ er Beine und Arme durch die Luft schwirren und streckte erst den einen, dann den anderen zu Boden, erzählt Gonçalves. Mit dem Kopf stieß er dem einen Tunichtgut dabei die Nase ins Gesicht. „Sie kommen, um mich zu töten. Aber sie haben Pech gehabt, sie kennen kein Capoeira“, stellte der Meister trocken fest.

Die Polizei will einen ausländerfeindlichen Hintergrund nicht ausschließen. Zwischenzeitlich wurde der Staatsschutz in die Ermittlungen eingeschaltet. Bisher fehlt von den Tätern allerdings jede Spur.

Eigentlich wollte Leo Gonçalves nur von der Geburtstagsparty eines Freundes nach Hause fahren. Seine Lebenspartnerin Liane K. ging vor, um das Auto zu holen. Kaum sei er selbst aus der Haustür getreten, hätten sich die Täter von zwei Seiten genähert, erzählt Gonçalves. „Sie wollten mich nicht berauben. Sie wollten mich umbringen“, glaubt der professionelle Kampftänzer.

Beinahe sei er in eine Sackgasse gerannt, habe dann aber kehrtgemacht, um auf die belebtere Elsenstraße zu gelangen. Da habe er angreifen müssen. Nach einer weiteren Rangelei sei er zur Puschkinallee geflohen. Vor dem UFA-Palast am Treptower Park habe er „Neonazis, Neonazis!“ gerufen. Weder ein Taxifahrer noch Leute, die aus dem Kino kamen, hätten von ihm Notiz genommen. „Sie haben nur zur Seite oder auf den Boden geguckt.“

Seine Freundin Liane K. bestätigt Gonçalves Schilderungen, soweit sie in der Nähe war. „Ich hörte Rufe und sah Leo über die Straße rennen.“ Sie habe schnell das Auto holen wollen, um ihm zu Hilfe zu kommen. Leichter gesagt als getan: Fünf Minuten habe sie gebraucht, um den großen Wagen aus der Parklücke zu manövrieren. Da sei Gonçalves bereits weggerannt.

Auch die Freunde der Geburtstagsfeier hörten Geschrei auf der Straße. „Wir schauten aus dem Fenster und sahen jemanden auf dem Boden liegen“, schildert ein anderer Brasilianer die Ereignisse. Zu dritt seien sie hinuntergegangen und hätten zwei Männer auf der Straße stehen sehen. „Ziel, ziel!“, habe der eine dem anderen zugerufen. Aus Angst vor einer Schießerei seien sie deshalb zurückgewichen. Erst später fanden sie gemeinsam mit Liane K. den Capoeira-Meister vorm Kino.

Der Held dieser Geschichte würde keine schlechten Hauptdarsteller in einem Actionfilm abgeben. Seit seinem achten Lebensjahr lernte er Capoeira. Er ist ein Muskelpaket auf zwei Beinen und bewegt sich wie ein Raubtier durch die Großstadt. Langsam, aber gefährlich. Daher auch der Name des dunkelhäutigen Rasta-Mann: In Brasilien taufte ihn sein Meister auf Leo – den Löwen.

Capoeira ist kein gewalttätiger Kampfsport, sondern ein traditioneller Kampftanz. Er wurde im 16. Jahrhundert von den afrikanischen Sklaven in Brasilien entwickelt. Da ihre Herren ihnen verboten, sich zu verteidigen, kombinierten die Sklaven die Kampfübungen mit Musik und tänzerischen Bewegungen. Erst in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Kampfkunst in Brasilien offiziell anerkannt.

Für Gonçalves ist der Tanz nicht nur Sport, sondern eine Lebensphilosophie. Capoeira habe ihm viel Selbstvertrauen gegeben und die Kraft, Probleme zu überwinden. „Ich bin nach Deutschland gekommen, um Menschen zu Capoeira erziehen“, beschreibt der Mestre mit ruhiger, tiefer Stimme seinen Auftrag. Zusammen mit der Deutschen Liane K. gründete er den Verein „Capitães de Areia“ in Berlin und unterrichtet nun schon seit über zehn Jahren in Europa. Das I-Tüpfelchen dieser Hollywood-reifen Geschichte: Gonçalves und Liane K. lehren auch regelmäßig kostenlos in Waisenhäusern, um Jugendlichen die Kraft des Capeira zu vermitteln. Schon oft hat Gonçalves mit Kampfkunstshows an antirassistischen Aktionen teilgenommen, war aber nie selbst Opfer geworden – bis Sonntagnacht.