: Gutachterstreit im Brechmittel-Prozess
Kurz vor Ende des Bremer Brechmittel-Prozesses präsentieren neue Gutachter eine ganz neue Theorie: Ein Herzfehler soll nun den Tod von Laya Condé verursacht haben. Stimmt das, müsste der Polizeiarzt freigesprochen werden
Das Urteil sollte längst gefallen sein. Doch nach 14 Verhandlungstagen im Bremer Brechmittel-Prozess herrscht mehr Uneinigkeit denn je über die genauen Gründe für den Tod des Sierra Leoners Laya Condé im Januar 2006. In den letzten Verhandlungstagen meldeten sich Gutachter mit einer neuen These zu Wort: Condé sei einem alten Herzfehler erlegen.
Nicht weniger als fünf Sachverständige waren an den letzten Verhandlungstagen gleichzeitig im Gerichtssaal anwesend: Ein Herzspezialist, ein Internist, ein Pathologe, ein Röntgenexperte und ein Professor für Notfallmedizin. „Es haben sich zwei Fraktionen gebildet“, sagt die Anwältin Elke Maleika, die die Familie des Toten als Nebenkläger vertritt.
Die eine Fraktion um den Berliner Professor für Notfallmedizin Klaus Eyrich ist der Ansicht, dass Condé ertrunken ist. Das ihm vom Polizeiarzt Igor V. per Nasensonde eingeflößte Wasser sei in seine Lunge gelaufen und habe ein Lungenödem und in der Folge den Hirntod ausgelöst. Zu diesem Ergebnis war auch der Notarzt gekommen, der Condé ins Bremer Klinikum Mitte hatte einliefern lassen. Der später als Sachverständiger vom Gericht hinzugezogene Bremer Professor für Innere Medizin Herbert Rasche schloss sich im Wesentlichen dieser Auffassung an, ebenso wie die Staatsanwaltschaft, die auf diese Diagnose ihre Anklage gegen den Polizeiarzt V. gegründet hatte.
Ganz anders drei Sachverständige um den Berliner Kardiologen Rudolf Meyer: Der hatte bei der Untersuchung von Condés Leichnam festgestellt, dass dessen Herzwand krankhaft verdickt war. Dieser „toxische Herzmuskelschaden“ soll „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ allein für das bei Condé festgestellte Lungenödem verantwortlich sein – und nicht etwa das durch den Brechmitteleinsatz in die Lunge gelaufene Wasser. Condé habe durch den Herzschaden – der etwa durch Alkohol, Drogen oder Umweltgifte entstanden sein könnte – in beinahe jeder Stresssituation sterben können. „Ich kann nicht ausschließen, dass auch andere, normale Umgangsweisen den Stillstand hätten auslösen können“, sagt Meyer. Seine These wurde vor Gericht von dem ehemaligem Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Berliner Charité, Volkmar Schneider, und dem Berliner Radiologie-Professor Karl-Jürgen Wolff gestützt.
Eine ganz ähnliche Expertise hatten Meyer und Schneider auch im Fall des Brechmitteltoten Achidi John abgegeben. Der 2001 in Hamburg gestorbene Nigerianer war das bundesweit erste Brechmittel-Opfer. Die Staatsanwaltschaft hatte 2002 ein Ermittlungsverfahren gegen eine Rechtsmedizin-Professorin der Eppendorfer Uniklinik eingestellt. Meyer und Schneider hatten sie mit der These entlastet, dass Johns Hirntod während des Brechmitteleinsatzes „auf eine vorstehende schwere Herzerkrankung zurückzuführen“ gewesen sei.
Wegen des Streits hat das Landgericht Bremen nun zwei weitere Gutachten bestellt.
Für die Anwältin Maleika ist das Vorliegen des Herzfehlers unstrittig. „Ich habe aber so meine Probleme damit, dass der jetzt plötzlich zur alleinigen Todesursache avanciert.“ Der Anwalt des Angeklagten, Erich Joester, sieht den Polizeiarzt V. hingegen entlastet. „Jede Aufregung hätte den Tod Condés auslösen können“, sagt er. Weil der Herzfehler von außen nicht erkennbar war, müsse sein Mandant vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen werden.
Die neuen Gutachten sollen im Oktober vorliegen, ein Urteil ist frühestens im November zu erwarten. CHRISTIAN JAKOB