: Terror ohne Sinn und Ziel
So konzeptuell wie eine Videoinstallation: Julia Loktevs Spielfilm „Day Night Day Night“ über eine Selbstmordattentäterin, die sich auf den Anschlag vorbereitet, entsensationalisiert das Thema – und frustriert
Es bedarf nur weniger Handgriffe, um ein junges Mädchen in eine Terroristin zu verwandeln. Einen Militärparka übergezogen, einen Patronengurt umgehängt, ein Maschinengewehr in die Hand gedrückt, platziert vor einem martialischen Hintergrundbild: Fertig ist das Abschiedsvideo der Selbstmordattentäterin. Die Verkleidung erfolgt so selbstverständlich, so pragmatisch, dass man vermuten könnte, Regisseurin Julia Loktev gehe es in ihrem Spielfilmdebüt „Day Night Day Night“ um einen lakonischen Kommentar auf die Mediatisierung des Terrorgeschäfts. Die Einstellung bricht just in dem Moment ab, als das Mädchen, im Abspann nur „Sie“ genannt, ihre Abschiedsworte verlesen will.
Tatsächlich interessieren Loktev Motiv und Hintergründe weniger als die Tat an sich. Die erste Hälfte ihres Films schildert in langen, streckenweise wortlosen Einstellungen die Vorbereitung auf den Anschlag. In einem kargen Motelzimmer im außerstädtischen Niemandsland von New Jersey wird das Mädchen für seinen Einsatz instruiert. Die Beiläufigkeit ihrer Handlungen – Waschen, Essen, Fernsehgucken – erscheint angesichts ihres Plans geradezu kaltblütig.
Der Kopf eines Selbstmordattentäters ist die Terra incognita der Gegenwart. Die Mischung aus religiösem Fundamentalismus, politischem Radikalismus und unverhohlenem Hass ist kein Rätsel, das sich leicht mit den Mitteln des Kino auflösen lässt – auch wenn sich in den letzten Jahren einige Regisseure daran versucht haben (Hany Abu-Assad mit „Paradise Now“, Stephen Gaghan mit „Syriana“ oder Romuald Karmakar mit „Hamburger Lektionen“). Loktev weiß, dass es unmöglich ist, in ein so enges Denkschema einzutauchen. Meist zeichnet sich dabei nicht mehr als das eigene, fundamentale Befremden ab.
„Day Night Day Night“ macht sich dieses Befremden auf inhaltlicher wie formaler Ebene zu eigen. Im Mittelpunkt des Films steht das Gesicht der Debütantin Luisa Williams, das nur vereinzelt Regung zeigt. Loktev bleibt abstrakt. Indem sie ihre Protagonisten von jeglicher Geschichte befreit, löst sie das Phänomen des Selbstmordattentäters aus seinem unmittelbaren politischen Zusammenhang. Die Rädelsführer der Terrorzelle sind nur kurz im Film zu sehen. Sie sprechen mit nordamerikanischen Akzent und vermeiden jeden Kommentar, der über die reine Instruktion hinausgeht. Einmal essen sie gemeinsam mit dem Mädchen Pizza. Loktev nimmt sich für ihre Beobachtungen viel Zeit, dabei vermischen sich Terror- und Alltagsritual (die Reinigung des Körpers, die letzte Nahrungsaufnahme) auf provokante Weise. Erst der geplante Anschlag verleiht den banalen Abläufen ihre Brisanz; die Beiläufigkeit der Inszenierung unterstreicht das Artifizielle der Situation.
So entwickelt „Day Night Day Night“ einen stark konzeptuellen Charakter, die Fokussierung auf kleinteilige, disparate Handlungen erinnert streckenweise mehr an eine Videoinstallation denn an einen Spielfilm. Loktevs Wille zur Abstraktion schlägt sich bis in die Besetzung nieder. Williams ist die wohl denkbar ungewöhnlichste Wahl für die Rolle der Selbstmordattentäterin. Mit verhuschten Blick und mädchenhafter Piepsstimme widersetzt sie sich jedem Stereotyp einer heiligen Kriegerin. Wenn sie in der zweiten Hälfte des Films hilflos durch die überfüllten Straßen Manhattans läuft, lässt der Film schließlich auch sein Terrorthema hinter sich. Je weiter Loktev abstrahiert, desto mehr rückt doch das persönliche Drama in den Vordergrund.
Und hier liegt das Problem von „Day Night Day Night“: Loktevs formal hochgradig sachliche, von allen politischen Implikationen abgelöste Betrachtungsweise liefert keinen Erkenntnisgewinn. So interessant ihr Versuch einer Ent-Sensationalisierung der Terrorproblematik zunächst scheint, so wird „Day Night Day Night“ mit fortschreitender Dauer doch zu einer frustrierenderen Erfahrung.
ANDREAS BUSCHE
„Day Night Day Night“. Regie: Julia Loktev. Mit Luisa Williams, Josh Philip Weinstein u. a., USA, Deutschland, Frankreich 2006, 94 Min., ab Do. im fsk