: Rot-Grün setzt auf Zeitgewinn
Mit Kanzler Schröders jüngsten Äußerungen gibt Deutschland erstmals zu erkennen, dass es eine Verlängerung der UN-Inspektionen in Irak befürwortet
aus Berlin PATRIK SCHWARZ
Manchmal scheint die rot-grüne Regierung ihre eigene Politik nicht mehr zu verstehen. Insbesondere in der Irakpolitik der letzten Wochen waren die Pfade der Argumentation so gewunden, dass selbst erfahrene Diplomaten sich schon mal verliefen.
Am 17. Dezember etwa hatte Joschka Fischer im Polit-Talk „Maischberger“ den Kurs zur heiklen Frage vorgegeben, ob die USA einen Krieg auch ohne neuen UNO-Beschluss beginnen dürften. „Es bedarf keiner zweiten Resolution“, legte der Außenminister fest. Praktisch identisch äußerte sich am 9. Januar der deutsche UNO-Botschafter Gunter Pleuger in der New York Times: Eine zweite Irakresolution sei zwar „wünschenswert, aber nicht notwendig“.
Doch in Berlin hatte sich mal wieder der Wind gedreht. Fischers Vorgabe vom Dezember war im Januar nicht länger opportun. So erhielt der als extrem sorgfältig bekannte, im Zweifel übervorsichtige Botschafter in New York gleich zwei Beschwerdeanrufe: von seinem Minister und dem Bundeskanzler. Derart massiv fiel die Rüge aus, dass die Opposition dem Beamten zur Seite sprang. Der CSU-Politiker Michael Glos warf dem Kanzler vor, den Botschafter einzuschüchtern wie ein sizilianischer Pate: „Die Mafia schickt manchmal abgeschnittene Ohrläppchen oder Finger.“
Pleugers Pech: Das rot-grüne Kabinett stellt seit dem Jahreswechsel seine Ablehnung eines Krieges wieder demonstrativ in den Vordergrund – spätestens nach dem verheerenden Echo auf ein Spiegel-Interview mit Joschka Fischer. Die Erklärung des Grünen, das Abstimmungsverhalten Deutschlands im Sicherheitsrat sei offen, hatte den Verdacht genährt, er füge der rot-grünen Steuerlüge eine Kriegslüge hinzu. Die deutsche Irakpolitik der letzten 14 Tage bestand darin, den Eindruck des Fischer-Statements einzufangen.
Gestern dann skizzierte Schröder, wie er sich die Vermeidung eines Irakkriegs zumindest in der unmittelbaren Zukunft vorstellt. „Ich denke, dass es eher wahrscheinlich ist, dass die europäischen Partner auf eine zweite Resolution hinarbeiten werden“, sagte der Kanzler und ergänzte: „Ich halt’s auch für vernünftig.“ Vor allem aber forderte er, den UNO-Inspektoren im Irak mehr Zeit für ihre Kontrollen zu gewähren. Die Erfahrung des Chefinspektors Blix aus den letzten Wochen „macht sehr deutlich, der 27. Januar ist nicht das Ende der Untersuchung, sondern ein Zwischenstand“. Nach der bisherigen Resolution 1441 soll Blix’ Bericht am 27. Januar vorliegen. Mit Schröders Aussagen gibt Deutschland erstmals zu erkennen, dass es auf eine zeitliche Ausdehnung des Kontrollregimes setzt. Nimmt man die Aussagen der Internationalen Atomenergiebehörde zum Maßstab, die weitere Kontrollen über mehrere Monate ins Gespräch gebracht hat, ist der nächste Konflikt mit den USA vorhersehbar: Ein rascher Einsatz der Soldaten im Golf käme dann nicht mehr in Frage, zumal die klimatischen Bedingungen einen Kriegseintritt nur bis Ende Februar erlauben. Alternativ müssten die USA sich in der UNO schnell durchsetzen oder im Alleingang handeln.
Die Bundesregierung hat mit diesem Szenario zumindest Zeit gewonnen. Zyniker verweisen auf die Landtagswahlen am 2. Februar und glauben nur an eine vorübergehende Akzentverschiebung. Trotzdem spricht manches dafür, dass Rot-Grün in seinem Nein tatsächlich mutiger wird. Eine Rolle spielt dabei der graduelle Stimmungswandel in Europa. Fischer wie Schröder haben in den vergangenen Monaten vor allem unter der Vorstellung gelitten, durch eine klare Ablehnung des Irakkriegs zu außenpolitischen Parias zu werden. Entsprechend registrieren sie mit Erleichterung, dass auch in anderen europäischen Staaten von Großbritannien bis zum EU-Ratspräsidenten Griechenland vermehrt kritische Stimmen zu hören sind (siehe Text unten).
Ungeklärt ist freilich weiterhin, wie Deutschland im Falle der von Schröder gewünschten zweiten Resolution abstimmt. Die Prügel für Pleuger zeigen hier Wirkung. Im Kabinett ist der Korridor des Erlaubten derzeit so eng, dass selbst gestandene Minister über die Rezitation von Kanzlerworten nicht hinausgehen. Jüngstes Beispiel ist Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Auf die Bitte, des Kanzlers Schwammigkeiten zum Abstimmungsverhalten in der UNO verständlich zu machen, erklärte die Ministerin kürzlich: „Die Formulierung, die Gerhard Schröder gewählt hat, ist deutlich. Sie ist nicht misszuverstehen und auch nicht interpretierungsbedürftig.“ Das würde wohl nicht mal Gerhard Schröder behaupten.