: Von wegen Musealisierung
Zwei Filme zur losen Reihe „Bahn frei“ im Lichtmeß: Jörg Adolphs Filmessay „Menschen – Modelle – Module“ und die Graffiti-Underground-Dokumentation „Rock‘n‘Roll“
von CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK
Heute Abend dreht sich im Lichtmeß alles um Züge, aber mit Bahnfahren haben beide Filme des Programms nichts zu tun. Und mit der üblen Laune, die sich bei dem Thema Kunden des einschlägigen deutschen Unternehmens in letzter Zeit aufzwingt, glücklicherweise auch nichts. Jörg Adolphs Filmessay über Modelleisenbahnen Menschen – Modelle – Module und die Underground-Dokumentation Rock‘n‘Roll über Graffiti-Kunst auf fahrenden Wänden hauchen stattdessen zwei Sujets neuen Drive ein, die manch einer schon für musealisiert hielt.
Gleich mit einem Brüller startet Adolph – dessen Notwist-Dokumentation kürzlich am selben Ort zu sehen war – seinen Film. Der „Prolog im ICE“ zeigt einen untätigen Zugführer beim Erklären der Fahrautomatik, beim Schwärmen von der Zuverlässigkeit der Technik, nur im ausdrücklichen Notfall fordere die „SIFA“, die Sicherheitsfahrschaltung, sein Eingreifen. Die allerdings lässt prompt und offenbar fälschlich ihr enervierendes Signalgeräusch hören. Den Anlass für Menschen – Modelle – Module gab ein Artikel des Schriftstellers und Modellbauers Burkhard Spinnen. Als fast humoristischer Sprecher dieses filmischen Essays kommt er Adolph auch vor die Kamera. Zusammen suchen die beiden in der zugleich abseitigen und alltäglichen Leidenschaft der Modelleisenbahner nach den „Denkbildern unserer Gegenwart“. Und im Betrachten der Geschichte der Modelleisenbahnen in Deutschland seit der Einführung der HO-Bahn 1935 fördern sie genüsslich nie zuvor Überlegtes oder derart in Bildern Zusammengestelltes zutage.
Wieso eigentlich fährt die Modellbahn im Kreis? Und warum sind in der Modelllandschaft keine Ameisen vorgesehen? Warum immer diese Idylle, warum das Heimliche, das Individuelle der Modellbauer-Schöpfergötter? Doch halt: Da hat sich historisch etwas getan. Inzwischen nämlich gibt es nicht nur digitalisierte Anlagen, sondern auch eine kleine Gemeinde von Modellbahnern, von denen jeder nur ein Modul für eine Anlage bereithält. Plötzlich kommt die verschämt zusammengebastelte Anlage aus dem Keller und – wie Spinnen den Wandel deutet – „der Modelleisenbahner teilt seine Autorität mit anderen“. Am Ende werden Spinnen und Adolph ein Stück Geschichte auf das in ihr herrschende Verständnis von Technik und Natur und dem Verhältnis zwischen beidem befragt haben.
Dass sich mit Zügen mehr anfangen lässt als das Zurücklegen einer Strecke, davon sind auch die Protagonisten des Videos Rock‘n‘Roll – Eine Graffiti Train Documentation, überzeugt. Das Garageteam, wie sich die Macher des Films nennen, hat sie beobachtet bei ihrem zumeist nächtlichen Tun. Denn es gibt sie noch, die Sprayer in freier Wildbahn, auch wenn immer häufiger Graffitikunst in Galerien landet. Das ziemlich roughe Bildmaterial des Films zeigt uns kommentarlos die Writer beim Besprühen von S-Bahnen, nach und nach entstehen vor unseren Augen jene Kunstwerke für eine Nacht. Bekanntlich werden die allermeisten derart bemalten Züge von den Betreiber-Gesellschaften umgehend aus dem Verkehr gezogen. Im Film sehen wir die komplett besprühten Waggons fahren – früh am Morgen ins Depot. Manche konnten aber anscheinend nicht rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen werden. Sie spucken an einem Bahnhof völlig ungerührte Fahrgäste aus.
Ein langer Filmvorspann verkündet, hier solle nicht zu illegalen Handlungen aufgerufen werden. Im Vordergrund stünden die künstlerischen Aspekte von Graffiti. Denn die Filmer müssen sich schützen wie die Künstler vor dem Zugriff der Gesetzeshüter. Was die als Botschaft des Films vermutlich fürchten, wusste man allerdings längst: Es sieht gut aus, es stört niemanden, und die größte Irrationalität in diesem Zusammenhang ist das permanente Reinigen der Waggons.
heute, 20 Uhr, Lichtmeß, Gaußstr. 25