England im Bann des Terrorkrieges

Britische Anti-Terror-Operationen gegen mögliche Al-Qaida-Mitglieder, die Einsätze des biologischen Kampfstoffes Rizin vorbereiten sollen, fordern ein erstes Todesopfer: Bei der Festnahme eines Algeriers in Manchester wird ein Polizist erstochen

von DOMINIC JOHNSON

Der „Krieg gegen den Terror“ hat sein erstes Opfer auf britischem Boden gefordert. Ein Beamter des „Special Branch“, einer Geheimdienstabteilung der britischen Polizei, wurde am Dienstagabend in der nordwestenglischen Stadt Manchester bei der Festnahme eines Verdächtigen erstochen. Detective Constable Stephen Oake erhielt einen tödlichen Stich in die Brust mit einem Küchenmesser. Der Täter war einer von drei Algeriern, die zuvor in ihrer Wohnung im Stadtteil Crumpsall von einem Sondereinsatzkommando überwältigt worden waren. Er machte sich offenbar frei und griff zu dem Messer, als die Festgenommenen den Geheimdienstlern übergeben werden sollten, die keine Schutzkleidung trugen.

Entgegen ersten Berichten stellte die Polizei gestern klar, die Algerier hätten zu keinem Zeitpunkt Handschellen getragen. Zugleich war keiner der beteiligten Polizisten bewaffnet. Beide Umstände stießen gestern in Großbritannien auf Kritik.

Hintergrund des blutigen Vorfalls ist die Jagd auf mögliche Al-Qaida-Zellen in Großbritannien, die angeblich dabei sind, den tödlichen biologischen Kampfstoff Rizin herzustellen und damit Terroranschläge vorzubereiten. Am 5. Januar hatte die Polizei eine Wohnung im Nord-Londoner Stadtteil Wood Green gestürmt, in der eine „Rizin-Fabrik“ vermutet wurde. Sechs Menschen wurden festgenommen, darunter zwei minderjährige Asylsuchende aus Algerien und Äthiopien. Ein siebter folgte in London am Dienstag vergangener Woche, weitere sechs diese Woche im südenglischen Bournemouth und nun auch drei in Manchester. Die meisten kommen aus dem Maghreb, vermutlich aus Algerien, dessen radikale Islamisten Großbritannien jahrelang als Zufluchtsort genutzt haben. Laut BBC stammen die Informationen, die die Festnahmen ermöglichten, aus den Herkunftsländern der Betroffenen sowie von Ermittlungsergebnissen aus Guantánamo, der US-Militärbasis auf Kuba, wo hunderte Al-Qaida-Verdächtige einsitzen.

Nur weil die Special-Branch-Beamten in Manchester darauf bestanden, die Kleidung der festgenommenen drei Algerier sofort mitzunehmen und auf Rizinspuren zu untersuchen, konnte es zu den Rangeleien kommen, die zu dem Mord führten. Die Panik setzte sich nach Ende des tödlichen Einsatzes fort, als 13 beteiligte Beamte und Sanitäter zur Nachuntersuchung in ein Krankenhaus eingeliefert wurden. Da sie auf Rizinvergiftung untersucht werden mussten, wurde das North Manchester General Hospital geschlossen – die erste Anwendung der neuen britischen Regierungsrichtlinien zum Schutz vor einem B-Waffen-Angriff.

Rizin und die ständigen Festnahmen und Hausdurchsuchungen verdrängen nun in der öffentlichen Wahrnehmung Großbritanniens allmählich den drohenden Irakkrieg und lassen Warnungen laut werden, dass das Land seine Prioritäten im Kampf gegen den Terror revidieren müsse. Der Mord sei ein „Weckruf an die Nation“, sagte gestern der konservative Oppositionsführer Iain Duncan Smith im Unterhaus und verlangte eine schärfere Asylpolitik, um Terroristen an der Einreise zu hindern. Premierminister Tony Blair antwortete, die geforderten Maßnahmen seien schon in Kraft.

Die Asyldebatte geht am Problem vorbei. In der Nacht zu gestern tauchte am abgesperrten Tatort in Manchester eine Gruppe von Islamisten aus der Nachbarschaft auf und drohte gegenüber anwesenden Journalisten mit weiterer Gewalt. „Die britische und die amerikanische Regierung können nicht all diese Leute in Afghanistan umbringen und Irak mit Krieg drohen und nicht mit Vergeltung rechnen“, sagte der 20-jährige Ali Butt. „Was passiert ist, kommt nicht als Überraschung, und ich denke, es wird noch öfter vorkommen.“