BERLINER PLATTE
: Schlichtes Pathos und schnörkelloser Kitsch – das Rosenstolzparadoxon

Hören wir einfach mal zu: Herzen werden auf der Hand getragen, Liebe wird gefeiert, Mauern werden eingerissen. In Kissen wird gebissen und im Himmel tut sich ein Fenster auf. Das Leben muss weh tun, „denn nur wenn’s weh tut, ist es gut“. Eins, das wird schnell klar, hat sich bei Rosenstolz auch auf ihrem nun schon elften Album „Die Suche geht weiter“ nicht verändert: Dem Berliner Duo ist keine Metapher zu abgegriffen, kein Bild zu pathetisch, kein Gefühlsausdruck zu kitschig. Kein Wunder, möchte man sagen: Denn genau darauf gründet ihr Erfolg. Peter Plate und AnNa R. haben ihre Anfänge als Schwulen-Kult lange schon hinter sich gelassen und sind Mainstream geworden. Der Grund dafür ist simpel: Die Texte, die Plate schreibt, strotzen zwar vor geschickt getarnten Plattitüden, sind aber auch so kunstvoll kryptisch gehalten, dass jede und jeder, der schon einmal verliebt war, sich darin wiedererkennen darf. Vor allem aber baut Plate keine zweite Ebene ein in seine harmlosen Wortspielereien und überfordert seine Hörer nicht intellektuell. Es gibt fast ausschließlich nur „Ich“ und „Du“ in diesen Texten, niemals nimmt Plate eine Außenposition ein, nie analysiert er und er distanziert sich nicht durch Ironie von seinem Thema. Und das ist stets die Liebe in all ihren Variationen und Daseinsformen. Die Sehnsucht nach der Liebe, die Überwältigung durch sie und die Trauer nach ihrem Ende. Souverän decken Rosenstolz den Gefühlshaushalt von heterosexuellen Frauen und homosexuellen Männern ab.

Doch ihr Briefkastentanten-Pop verfängt mittlerweile auch bei anderen Zielgruppen. Die dazu notwendige Distanzierung vom Schlager gelingt Rosenstolz durch das geschickte Adaptieren anderer Popgenres. Ob nun Chanson oder Electro-Beats, Indie-Pop und sogar zart angedeuteter Gitarrenrock: Möglich ist vieles bei Rosenstolz und auf „Die Suche geht weiter“ steht vieles auch wieder einmal nebeneinander. Das warm-luftige, fast schon psychedelische Sixties-Feeling der Single „Gib mir Sonne“ funktioniert dabei ebenso gut wie das zwischen Kinderlied und Electro-Tanznummer taumelnde „Irgendwo dazwischen“ oder das wohl temperierte Klavier in „Wie weit ist vorbei“. Nur die frenetischen Mitsing-Nummern, mit denen sie in ihren Anfangstagen das schwule Publikum begeisterten, haben sie endgültig zugunsten von melancholischeren Stücken aus dem Programm gestrichen.

Tatsächlich kommt das Album in seiner zweiten Hälfte nahezu zum Stillstand: Mit jeder neuen Ballade wird der Rhythmus noch langsamer und die Stimmungslage noch herzzerreißender. Das Ergebnis ist Kitsch in seiner reinsten Form. Kitsch allerdings, der keinen Zynismus kennt. Das ist denn auch das Alleinstellungsmerkmal von Rosenstolz: Peter Plate und AnNa R. gelingt es wie niemandem sonst hierzulande, gefühlig zu werden, ohne im Schwulst zu versinken. Unter den Händen von Rosenstolz wird Pathos zur Alltagsemotion, bekommt die Trivialität Tiefe und sogar der Allgemeinplatz erscheint plötzlich authentisch. Man muss eben nur mal zuhören. THOMAS WINKLER

Rosenstolz: „Die Suche geht weiter“ (Island/Universal) Live am 7. und 8. 11. in der Columbiahalle