: „Mit Hermelin auf den Balkon“
Der Europaabgeordnete Voggenhuber lehnt den deutsch-französischen Vorschlag als undemokratisch ab
taz: Der deutsch-französische Motor brummt wieder. Ist das gut oder schlecht für Europa?
Johannes Voggenhuber: Ich seh da keinen Motor, sondern eher ein deutsch-französisches Bleigewicht für den Konvent. Das ist der Versuch, die große Institutionendebatte, die dort am Montag beginnt, an sich zu ziehen.
Immerhin hat sich die Befürchtung, dass Deutsche und Franzosen ihren Vorschlag erst bei der Feierstunde zum Élysée-Vertrag am 22. Januar vorlegen und den Konvent übergehen, nicht bewahrheitet. Der Konvent hat jetzt die Chance, das zu debattieren.
Der Konvent debattiert ähnliche Modelle seit Monaten. Da ist kein neuer Gedanke dabei. Deutschland und Frankreich hatten zwei verschiedene Auffassungen, und in der berühmten Methode des diplomatischen Kuhhandels hat man sich jetzt entschieden, beides zu verwirklichen: sowohl einen vom Parlament gewählten Kommissionspräsidenten als auch einen EU-Präsidenten des Rates. Alle Fragen bleiben offen.
Wenn dieser Vorschlag Verfassung wird – haben wir dann ein französisches Staatsmodell für Europa?
Sicher – damit würde das nicht gerade erfolgreiche französische Modell der Kohabitation auf Europa übertragen. Und die wirklich spannenden Fragen sind nicht beantwortet. Sollten die Staatschefs einen aus ihrer Mitte zum Ratspräsidenten auf fünf Jahre wählen, dann fragt sich, was passiert, wenn der zu Hause abgewählt wird. Wenn man aber einen emeritierten Politiker nimmt wie Gonzales oder demnächst Aznar – wo ist dann die demokratische Legitimation? Dann wählen sich die Kurfürsten einen Kaiser. Dann schicken die Spanier einen Ministerpräsidenten in die Wüste, der wenig später als europäischer Präsident wieder auftaucht – ohne Volk, ohne Parlament, nach der Devise „Zurück ins 17. Jahrhundert“.
Immerhin wäre damit eine Kernfrage der EU-Reform beantwortet.
Ach ja? Ich finde es kindisch, aus dem ganzen komplexen Verfassungsprozess die Frage herauszugreifen, wer mit dem Hermelin um die Schulter auf dem Balkon stehen darf. Die europäische Demokratie, die soziale Dimension, die Außen- und Sicherheitspolitik, die Vergemeinschaftung, das Gleichgewicht der Institutionen, die Grundrechtecharta – nichts davon interessiert sie, nur diese eine Frage des Protokolls.
Der dänische Euroskeptiker Jens-Peter Bonde sagt, er fühlt sich als Konventsmitglied nur noch als Staffage. Gegen diesen Kompromiss der beiden großen Länder geht seiner Meinung nach nichts mehr.
Natürlich ist das der Versuch, dem Konvent zu zeigen, wo es langgeht. Wir werden es aber lediglich als einen Vorschlag von zwei Konventsmitgliedern werten, die ihre jeweilige Regierung vertreten – zwei von hundertundfünf Delegierten.
Wie schätzen Sie die Mehrheitsverhältnisse im Konvent ein? Konventspräsident Giscard will dieses Modell, Italien, Spanien, die dänische Regierung signalisiert Zustimmung – sind die Kritiker in der Minderheit?
Es gibt keine Mehrheit im Konvent für einen EU-Präsidenten. Die kleinen Länder sind geschlossen dagegen. Ein Großteil der Parlamentsvertreter quer durch alle Delegationen hält ebenfalls nichts davon. Die sagen alle, dass es sich nicht um ein stimmiges Modell handelt, sondern um die unverträgliche Vermischung zweier Denkansätze.
Aber wenn es doch nur um die Frage geht, wer den Hermelin tragen und auf dem Balkon stehen darf? Warum erkauft sich der Konvent nicht mit dieser Konzession Spielraum für die wirklich wichtigen Fragen wie Euratom oder die Sozialstaatsgarantie der Europäischen Union?
Weil die Gemeinschaft dabei auf der Strecke bleibt. Dieser Vorschlag trägt nicht zur Vertiefung der Union bei, sondern stärkt das Europa der Regierungschefs. Der Europäische Rat war jahrzehntelang in den Verträgen als Institution gar nicht vorgesehen. In den letzten Jahren kann man aber beobachten, dass die Regierungen jenseits der Verträge Macht an sich ziehen, die sie – sozusagen im Nebenberuf – nicht einmal real ausüben können. Sie lassen sich von Beamten vertreten, treten ihre Stimmen ab, tagen hinter verschlossenen Türen. Diese antigemeinschaftliche Entdemokratisierung würde durch die nun vorgeschlagene Doppelspitze verstärkt. Das Dominanzgehabe eines EU-Präsidenten würde politisch enorme Auswirkungen haben. Der könnte den Chef der Kommission doch allemal zum Schweigen bringen. Worauf dürfen wir uns denn bei der nächsten Konventssitzung kommenden Montag gefasst machen? Wie ich den Konvent bisher kennen gelernt habe, wird es keinen offenen Ausbruch von Empörung geben, keine laute Rebellion, sondern stille Resistenz.
Aber nicht stille Resignation?
Das ganz sicher nicht.
INTERVIEW: DANIELA WEINGÄRTER