: Suspekte Nonchalance
Zeittypische Befindlichkeiten süffisant offenbart: Erik Gedeon hat Ralph Benatzkys nur scheinbar sorglose Operette „Im weißen Rössl“ am Thalia aufbereitet
Die Gegend gilt als allverjüngende Urlaubsfrische. Doch wer je selbst dort kurte, beginnt Thomas Bernhard zu verstehen: Klaustrophobisch, klebrig wie zu süßes Marzipan gestaltet sich die Atmosphäre in jener Gegend, in der man nichts als Bergsteigen kann: Am Wolfgangsee spielt die Benatzky-Operette Im weißen Rössl, die Erik Gedeon, der fürs Thalia den Thalia Vista Social Club erfand, jetzt aufbereitete.
Pflichtschuldigst verworren ist die Handlung um die Wirtin Josepha, den Kellner Leopold sowie diverse andere Gestalten, die um Hotelzimmer und Frauen streiten. Und selbstverständlich sehnt sich jeder nach dem, der ihn nicht begehrt. Als echtes „Divertissement“ kommt das Stück daher, dessen Lieder Leichtigkeit suggerieren und zugleich süffisant unterhöhlen. Denn als alle Knoten gelöst sind, siegt keineswegs reine Romantik, sondern – etwa bei Wirtin Josepha – pragmatischer Verzicht und Vorliebnehmen mit der zweitbesten Partnerlösung. Eine immer wieder zugedeckte Kluft zwischen Realität und Wunsch, letztlich ein fast ritueller Beziehungstanz durchflicht die am 8. November 1930 in Berlin uraufgeführte Operette. Wie weit sich der nachhaltige Erfolg des Stoffes auf konstant zelebrierte Österreich-Klischees gründet, sei dahingestellt.
Tragik scheint allerdings im Schicksal des Komponisten Ralph Benatzky auf, der, 1884 in Mährisch Budwitz geboren, in Wien studierte und bald Lieder fürs Kabarett zu komponieren begann. Später klavierbegleitete er die Chansonsängerin Josma Selim, die er heiratete, bevor er 1924 ins lukrativere Berlin umzog. Zu einem der wichtigsten Operettenkomponisten avancierte er dort, schuf Revueoperetten wie Casanova, Die Drei Musketiere sowie Im weißen Rössl und belebte ganz nebenbei das Genre der Kammeroperette neu.
Doch der Ruhm währte nicht lange: Bald nach Hitlers Einmarsch in Österreich 1938 flüchtete Benatzky – seine zweite Ehefrau, die ehemalige Tänzerin Melanie Hoffmann, war Jüdin – ins amerikanische Exil. Seine Operetten interessierten dort nicht. Benatzky verlor, seiner künstlerischen Identität beraubt, jeden Halt. Deprimiert kehrte er nach 1945 nach Europa zurück, doch Lichtblicke zeigten sich nicht, bevor er 1957 starb – ein typischer Vertreter der „verlorenen Generation“. Kein Einzelfall, zwar. Aber interessante Folie für eine differenzierte Wahrnehmung der oft belächelten Operette: Technisch oft sehr anspruchsvoll, erlaubt diese Gattung auch eine schlaue, kaum angreifbare Brechnung zeittypischer Befindlichkeiten. Petra Schellen
Premiere Sonnabend, 18. Januar, 20 Uhr, Thalia