: Kost the Ost!
Die bevorstehende Osterweiterung beunruhigt viele Landwirte. Auf dem 10. Ost-West-Agrarforum der Grünen Woche werden diese Ängste besprochen: Die Experten geben Entwarnung
von MARKUS WILD
Einfach und deftig sei die polnische Küche, hört man immer wieder. Was jenseits der Oder außer Piroggi-Maultaschen und dem Nationalgericht Bigos – einem kräftigem Fleischeintopf mit gedämpften Sauerkraut und Weißkohl – noch auf den Teller kommt, wissen jedoch wenige.
Seit der Kopenhagener Gipfel im Dezember die EU-Osterweiterung 2004 beschlossen hat, wird zwar verstärkt über osteuropäische Lebensmitel debattiert. Dabei geht es allerdings nicht um kulinarische Aspekte, sondern um deren Produktion in der Landwirtschaft. Bei den Landwirten in West und Ost stößt die Aufnahme von Ländern wie Polen, Ungarn und Tschechien in die Europäische Union bisher jedoch auf viel Skepsis. Während deutsche Bauern befürchten, von Ost-Billigprodukten überschwemmt zu werden, haben ihre Kollegen im Osten Angst, dass sie aufgrund der hohen Agrarsubventionen im Westen nicht konkurrenzfähig sein werden.
Über diese Ängste wird auch auf dem hochkarätig besetzten „10. Ost-West-Agrarforum“ der Grünen Woche gesprochen werden. „Von einem Expertentreffen“ habe sich die Veranstaltung, die bei der diesjährigen Grünen Woche ihr zehnjähriges Jubiläum feiert, im Laufe der Jahre „zu einer politischen Plattform entwickelt“, sagt Gunther Beger vom mit veranstaltenden Bundesverbraucherministerium.
Rund 1.000 Teilnehmer werden dieses Jahr zu dem Ost-West-Forum erwartet, darunter der EU-Agrarkommissar Franz Fischler, Verbraucherministerin Renate Künast sowie der polnische und der ungarische Landwirtschaftsminister. „Neben der Veranstaltung des Deutschen Bauernverbandes ist es die wichtigste agrarpolitische Veranstaltung der Grünen Woche“, so Beger.
Manch Vorurteil dürfte auf dem Ost-West-Agrarforum widerlegt werden – zum Beispiel, dass die deutsche Bauernschaft wegen der niedrigen Arbeitskosten im Nachbarland Polen kaum auszugleichende Wettbewerbsnachteile zu befürchten hätte. Denn zumindest bisher importieren nicht nur die Polen, sondern alle neu in die EU aufgenommenen Länder (mit Ausnahme Ungarns) deutlich mehr landwirtschaftliche Erzeugnisse, als sie exportieren.
„Ich halte die Befürchtungen beider Seiten für übertrieben“, urteilt Peter Weingarten vom Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa über die Sorgen von Landwirten sowohl in West- als auch in Osteuropa, der neuen Konkurrenz nicht standhalten zu können. „Vor allem in Ostdeutschland sind in den letzten zehn Jahren leistungsfähige Betriebe entstanden. Dagegen ist die technische Ausstattung vieler Betriebe in den Beitrittsländern modernisierungsbedürftig, und viele Landwirte in Mittel- und Osteuropa sind nicht nur relativ alt, sondern auch verhältnismäßig schlecht ausgebildet.“ Auch die geringen Pacht- und Bodenpreise im Osten würden laut Weingarten keinen ausschlaggebenden Vorteil bedeuten. „Der Bodenpreis ist für landwirtschaftliche Investitionen nicht allein entscheidend. Auch die Produktivität spielt eine Rolle, und die ist etwa in Polen noch deutlich geringer.“
Diskussionsbedarf über die Folgen der EU-Osterweiterung für die Landwirtschaft gibt es zur Genüge. Heftig erörtert wurde unter anderem die Frage, ob es sinnvoll war, das Prinzip der „Direkthilfen“ für die Bauern der Beitrittsländer einzuführen und mittelfristig dem westeuropäischen Niveau anzugleichen. Dadurch wird in erster Linie die inzwischen ziemlich umstrittene landwirtschaftliche Massenproduktion gefördert.
Unbestritten ist indes, dass dem Agrarsektor der EU-Beitrittsländer ein schmerzhafter Anpassungsprozess bevorsteht. So arbeiten etwa in Polen heute noch rund ein Fünftel der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft – in Deutschland sind es nur noch 2,8 Prozent. Experten sprechen daher von einer notwendigen „Deagrarisierung“ Polens.
Sicher ist ebenfalls, dass in der EU-Osterweiterung vor allem für die deutsche Nahrungsmittelindustrie Chancen liegen – immerhin geht es um einen neuen Markt im Osten mit 75 Millionen Verbrauchern. Der Sprung heimischer Lebensmittelhersteller in die osteuropäischen Länder bietet sich insbesondere in der kostenintensiven Veredelungswirtschaft an, etwa bei der Herstellung von Fleischwaren und Milchprodukten.
Wer nun die Lebensmittelqualität und den gesundheitlichen Verbraucherschutz durch die EU-Osterweiterung in Gefahr sieht, kann einigermaßen beruhigt werden. Ausnahmeregelungen für Schlachthöfe und Molkereien, die die EU-Normen noch nicht erfüllen, sollen nur in Einzelfällen für eine Übergangsfrist von drei Jahren genehmigt werden – und das auch nur dann, wenn die Hygiene- und Gesundheitsvorschriften eingehalten werden. Zudem müssen die betroffenen Waren, deren Verkauf lediglich in dem jeweiligen Beitrittsland gestattet ist, entsprechend gekennzeichnet werden.
Auf dem „10. Ost-West-Agrarforum“ der Grünen Woche wird angesichts der bereits abgesegneten Osterweiterung der Europäischen Union vor allem aber die „EU-Agrarpolitik im Spannungsfeld der Globalisierung“, so der Titel der Jubiläumsveranstaltung, im Mittelpunkt stehen. Es wird also über die künftige europäische Agrarpolitik debattiert werden und darüber, wie sich die Europäer mit ihrer Landwirtschaftspolitik gegenüber der WTO positionieren.
Gespannt sein darf man dabei in erster Linie auf die Ausführungen des EU-Agrarkommissars Franz Fischler. Denn in den Tagen der Grünen Woche wird die Halbzeitbilanz der EU-Kommission zur „Agenda 2000“ erwartet. Und schon im letzten Sommer hatte Fischlers zum Teil weit reichender Reformentwurf für die europäische Agrarpolitik für viel Wirbel gesorgt. Er hatte vorgeschlagen, die bisherige Massen- und Überproduktion in der EU-Landwirtschaft zu stoppen und stattdessen Qualitäts- und Umweltaspekte stärker in den Vordergrund zu rücken.