Überschäumender Spielfluss

„Die Bayern“ – eine Tragödie in zwei Halbzeiten nach Motiven von Aischylos

„Ich versuche meinen Jungs klar zu machen, dass Spielkultur von Kultur kommt“

Winterpause – Sauregurkenzeit für Star-Ensembles und Gurkentruppen des deutschen Fußballs. Zwischen dem Trainingslager in Marbella und dem Hallenturnier in Dortmund überwintern die hochbezahlten Balltreter der Nation. Man will sicherstellen, dass die Jungs rechtzeitig zum Rückrundenstart topfit aus den Kabinen kommen.

Nicht so beim FC Bayern München, dem Ausnahmeverein der Bundesliga. Trainer Ottmar Hitzfeld beschreitet in München jetzt ganz neue Wege. Er will seine Schützlinge über die Winterpause auf recht unkonventionelle Art auf die Rückrunde vorbereiten: In den Münchner Kammerspielen probt Hitzfeld zur Zeit „Die Bayern“, eine freie Adaption von Aischylos’ Tragödie „Die Perser“. Hitzfeld zu seiner ungewohnten Rolle als Theaterregisseur: „Ich versuche meinen Jungs klar zu machen, dass Spielkultur von Kultur kommt. In taktischer Hinsicht können junge Spieler wie Sebastian Deisler von Aischylos nur profitieren.“

Ob Hitzfeld mit seiner ersten Inszenierung, einer radikal der Moderne verpflichteten Neuinterpretation des griechischen Bühnenklassikers, das auf Neuerungen eher abwartend reagierende Münchner Theaterpublikum aus den Sesseln reißen kann, scheint nach dem bisherigen Verlauf der Probenarbeiten allerdings mehr als fraglich. Aber Hauptsache, die Theaterarbeit kommt dem Spielfluss der Mannschaft zugute.

Die Handlung der fußballerischen Tragödie ist schnell erzählt: Der Chor zählt die Namen der berühmten Kämpfer auf, die Bayern-Kapitän Kahn nach Bremen geführt hat, um die Schmach der Vorrundenniederlage zu rächen. In banger Sorge kündet der Chor von der Abwehrschlacht der ruhmreichen Bayern gegen den Angstgegner von der Weser. Da bringt ein Bote die fürchterliche Kunde: das ganze „Heer“ der Bayern ist im Weserstadion vernichtend geschlagen worden. Und er sagt noch Schlimmeres voraus: Die einstmals so stolzen Bayern-Recken werden sich binnen zweier Jahre in der Zweiten Liga wiederfinden. Schon naht der unglückliche König Hoeneß selbst. Mit herzzerreißenden Klagen und Selbstvorwürfen endet das Stück.

Eine bewegende und ewig junge Tragödie um Hybris und Fall einer einstmals unbezwingbar erscheinenden Macht – und ein gewagter Versuch, verwöhnte Fußballprofis mit theatralischen Mitteln durchs Stahlbad der Katharsis zu jagen. Aber es bleibt doch zu fragen, ob Regisseur Hitzfeld nicht gut daran getan hätte, sein Rotationsprinzip in diesem Falle gewissermaßen „draußen vor dem Tor“ zu lassen.

Mit der Besetzung Giovane Elbers auf der Position des klassischen Abstaubers gelang Regie-Neuling Hitzfeld zwar ein überraschender Schachzug – versteht es dieser doch, mit überschäumender Spiellaune das gesamte Ensemble mitzureißen. Auch die auf der Bühne so noch nicht gesehene, konsequente Manndeckung gehört sicher zu den Aktivposten des Bayern-Spiels auf den ungewohnten und nur schwer bespielbaren Bühnenbrettern – aber müssen die Bayern denn gleich mehrfach in die Abseitsfalle der zwischen den Kulissen geschickt gestaffelten Bremer Abwehr rennen?

Jens Jeremies gibt den bayerischen Libero zwar mit bemerkenswerter Präsenz, aber ist sein überhartes Einsteigen in den Standardsituationen des zweiten Akts noch mit althergebrachten Theatertraditionen zu vereinbaren? Und muss schließlich der kompakt stehende Chor der Viererkette seine getragene Rede unbedingt im Vollplayback deklamieren? Fragen über Fragen. Einzig Bayernkönig Hoeneß’ bewegende Klage aus seiner farbenfrohen Adidasjacke heraus hat echtes Tragöden-Format.

Sicher, man möchte Ottmar Hitzfeld Respekt zollen für seinen kühnen Versuch, die großen Fragen der Menschheit in die Erlebniswelt des heutigen Publikums zu transponieren, doch ob sein den gewieften Taktiker verratender Regie-Einfall, schwach spielende Ensemblemitglieder noch während des Akts aus dem Spiel zu nehmen, wirklich den Nerv der eher konservativ gestimmten Theaterfreunde trifft, soll an dieser Stelle denn doch mit Nachdruck bezweifelt werden. Alles in allem aber ist dies auch wieder eine bemerkenswerte Initiative des Bayerntrainers, die die Freunde gehobener Spielkultur aus Parkett und Südkurve erstmals an einem Spielort zu kathartischem Gemeinschaftserleben zusammenführen könnte. RÜDIGER KIND