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Archiv-Artikel

Kasperle und Kommunismus

Revolutionslieder, hinter dem Ofen zu singen: Am Berliner Ensemble führt Claus Peymann Brechts „Mutter“ wieder auf und lädt ein zum nostalgischen Blick auf eine längst vergangene Zeit

von ESTHER SLEVOGT

Wer heute Brechts 1932 uraufgeführtes Revolutionsstück „Die Mutter“ spielt, der braucht schon starke Argumente. Denn so schön übersichtlich ist die Welt längst nicht mehr, wie im berühmten „Lob des Kommunismus“, wo Mutter Wlassowa am Küchentisch dem Mitproletariat erklärt, dass der Kommunismus vernünftig sei, weil ihn jeder verstehe. Und eigentlich könnte man Claus Peymanns Naivität fast sympathisch finden, sich dieses angestaubten Agitationsklassikers anzunehmen.

Zeitgenossen fällt bei der revolutionären Empfehlung an Ausgebeutete und Arbeitslose, doch ihr eigener Arbeitgeber zu werden, heute höchstens noch die Gründung einer Ich-AG ein. Doch in Brechts „Mutter“ treffen wir noch einmal lauter großherzige, idealistische und selbstlose Proletarier, die ihr persönliches Schicksal klaglos dem dialektischen Lauf der Geschichte unterordnen, von dem man damals noch annahm, er würde zwingend ein kommunistisches Happy End haben. Und der Partei, die ihnen versprochen hatte, dies Happy End mit allen Mittel herbeizuführen.

Im Berliner Ensemble nun kann man seit Mittwochabend noch einmal nostalgische Blicke auf eine Welt richten, in der noch klar zu erkennen war, wer die Bösen und wer die Guten sind. Und hätte Claus Peymann nicht mit aller Gewalt beweisen wollen, dass Brechts Mutter und ihre Ideale immer noch aktuell wie immer sind, es hätte sogar ein kurzweiliger Abend werden können.

In ihren stärksten Momenten nämlich wirkt die Inszenierung wie fernes und wunderbar leichtes Kasperletheater von der Revolution, die man als vergangenes Phänomen wie die Peking-Oper bestaunen kann: die Polizisten haben Clownsgesichter, die Streikbrecher angemalte rote Ohren.

Die kauzig-zupackende Mutter (Carmen-Maja Antoni) trägt eine adrett gebügelte Proletarierschürze, der Lehrer (Martin Seifert) einen Frack, die jungen Revolutionäre (Markus Meyer, Dirk Ossig, Henning Hartmann, Meike Droste und Rainer Philipi) hantieren mit Druckerpressen aus dem Technikmuseum und wirken dabei wie Kasper, Seppel und Gretel in Großmutters Küche beim Räuber Hotzenplotz.

Einmal tauchen am äußersten Rand der im Schwarzen schwebenden weißen Bühnenschräge lediglich Köpfe auf, um der Wlassowa von der Notwendigkeit der Revolution vorzusingen. Da weht dann schon fast ein kalter Beckett-Hauch über Karl-Ernst Herrmanns Bühne. Verstärkt wird dieser Effekt durch Michael Gross’ Bearbeitung von Hans Eislers Musik, die mit Percussion und sehr eigenwilliger Rhythmik das alte Revolutions- und Agitationspathos der berühmten Lieder fast ironisch kommentiert. Doch leider erinnert sich Peymann dann immer wieder daran, unbedingt beweisen zu wollen, dass der Kommunismus zwar gescheitert, aber als Idee, bitte schön, immer noch brandaktuell ist. Peymanns Gewährsfrau heißt Rosa Luxemburg, und er lässt sie leibhaftig erscheinen, sozusagen als lebendige Brecht-Gardine zwischen den Szenen: in Originalkostüm und -frisur von Therese Affolter mit flammendem Theaterpathos gespielt.

Sie spricht Texte, die längst im Poesiealbum aller aufrichtigen Linken verewigt sind: von der Freiheit der Andersdenkenden und der wiederkehrenden Revolution „ich war, ich bin, ich werde sein!“. Texte, wie mit dem winkenden Zaunpfahl gesprochen. Schließlich wird sie von futuristischen, schwarzen Ninja-Kriegern gewaltsam von der Bühne in den Abgrund gezerrt. Das ist so platt, dass es wehtut.

So geht schließlich die Geschichte der Proletariermutter, die mühsam und unter Schmerzen lernt, ihr persönliches Schicksal dem politischen Kampf unterzuordnen, an der Ambition zugrunde. Auch weil Peymann letztlich die dringend nötigen starken Argumente, was uns Brechts Stück heute noch sagen soll, schuldig bleibt.

Zwar kommt auch er nicht um einen Tribut an die inzwischen vergangene Zeit herum und lässt das Stück leise und resignierend zu Ende gehen. Die während einer Demonstration blutig geschlagene Mutter flüstert gegen das Schwinden der eigenen Kräfte und die anschwellende Musik aus dem Orchestergraben, von der sie schließlich übertönt wird, den ersten Satz des legendär gewordenen Liedes „Wer noch lebt, sage nicht niemals!“.

Doch damit wird das Berliner Ensemble keinen Revolutionär mehr hinter dem Ofen hervorlocken und Brecht nur noch tiefer in der dramatischen Plüschkiste versinken lassen. Was zunächst als Naivität sympathisch wirkt, geht einem als Unbedarftheit schließlich ziemlich auf die Nerven.