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Archiv-Artikel

Letzte Hoffnung: Verbraucher

Den Bauern steht das Wasser bis zum Hals. Besserung ist trotz diverser Programme nicht in Sicht. Jetzt sollen die Konsumenten mithelfen

von REINER METZGER

Wie geht es dem Bauern? Schlecht. Wie geht es der Agrarindustrie? Teils, teils. Und wie geht es dem Verbraucher? Saugut – möchte man zumindest meinen. Denn der glückliche Konsument gibt immer weniger für Ernährung aus.

Von der Scholle bis zum Ladenregal kämpfen alle für ihn um immer niedrigere Kosten. Im Jahr 2000 machten Nahrungsmittel beim Durchschnittshaushalt nur noch zehn Prozent der inländischen Konsumausgaben aus. Und diese Lebensmittel sind darüber hinaus aufwendiger überwacht und getestet denn je.

Dummerweise gibt es eine Spielverderberseite dieser Medaille: Die Hälfte der Fläche Deutschlands wird von Bauern beackert. Und wenn diese Fläche zu immer weniger Kosten immer mehr liefern muss, bleibt viel auf der Strecke. Vor allem der Bauer, wie ihn der Städter kennt: Fährt die Kacke seiner Viecher auf die eigenen Felder, verkauft auch was direkt ab Hof oder in der Region, hat abends vielleicht mal Zeit für seine Familie und keine Knebelverträge mit Futtermittel- und Saatgutlieferanten.

Laut dem Agrarbericht 2002 der Bundesregierung gibt es noch 447.000 landwirtschaftliche Betriebe im Land, Tendenz stetig fallend. Und nur wenigen Zehnteln davon geben die Verfechter der weltmarktfähigen Großlandwirtschaft eine Überlebenschance.

40 Prozent für 4 Prozent

Sollten solch düstere Prognosen zutreffen, kommt das den Konsumenten teuer zu stehen: Nicht nur, dass Dünger- und Pestizidverbrauch der Landwirtschaft dann wohl auf dem derzeitigen hohen Stand verharren. Es werden auch ein Großteil der derzeit noch 560.000 Vollzeitarbeitsplätze auf den Bauernhöfen wegfallen, mit allen sozialen Folgekosten – wenn es nicht noch eine irgendwie sinnvolle Agrarreform gibt.

Eine solche Reform zu puschen, dafür sorgt nicht etwa der mächtige Deutsche Bauernverband. Dessen Funktionäre sperren sich gegen so gut wie jede Veränderung, weil viele seiner Mitglieder bei einer Neuverteilung der Subventionsmilliarden ja vielleicht verlieren könnten. Vier Prozent der größten EU-Betriebe kassieren alleine vierzig Prozent der Zuschüsse, so der EU-Rechnungshof. Zuständig für den letzten Rettungsversuch einer bäuerlichen und naturnäheren Landwirtschaft ist deshalb die Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast.

Seit ihrem Amtsantritt vor zwei Jahren versucht die erste Nichtlandwirtin im Amt, der Agrarpolitik eine neue Richtung zu geben. Die Grüne mag ja mit einigem Abstand die beste Landwirtschaftsministerin sein, die wir je hatten. Aber mancher fragt sich, ob nicht auch sie und ihr Trupp zwischen den Mühlsteinen der EU-Länderinteressen und der Agrarlobby hierzulande zerrieben werden. „Die Agrarwende gleicht eher einer Schnecke als einem galoppierenden Pferd“, so gestern Hubert Weiger, Vorstand des „Agrarbündnisses“ und Agrarsprecher des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND).

So etwa bei den wichtigen Plänen für die EU-Etats 2007 bis 2012. Sie werden kommende Woche vom österreichsichen Agrarkommissar Franz Fischler vorgestellt. Mit dem Budget werden jährlich über 40 Milliarden Euro an die Bauen der Mitgliedstaaten verteilt. Jedoch: „Da ist von Reformansätzen nichts übrig geblieben“, warnt ein interner Kenner des Subventionswesens.

Die Umwidmung der jährlichen Milliarden von Masse auf Klasse dauert damit wahrscheinlich so lange, dass der klassische Bauer – ob bio oder konventionell, spielt kaum eine Rolle – es kaum noch erleben dürfte. Künast und die bäuerliche Agraropposition haben deshalb schon ein „Aktionsprogramm bäuerliche Landwirtschaft“ ersonnen und es zum Hauptthema des Ministeriums auf der Internationalen Grünen Woche erkoren. Es hat zwar wegen des Haushaltsdefizits nur einen Mini-Etat, sei aber „sehr vorzeigbar“, meint Friedrich Ostendorf. Er ist Bauer, Mitglied des alternativen Bauernverbandes Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und seit Herbst für die Grünen im Bundestag. „Es geht darum, die Landwirtschaft wiederzubeleben“, so Ostendorf, „diese ganze Mutlosigkeit muss weg.“

Die regionale Vermarktung soll gefördert und die mannigfaltige Bürokratie vermindert werden. Das Mittelstandsprogramm von Wirtschaftsminister Clement soll helfen und die Existenzgründung gefördert werden. Denn erstaunlicherweise fehlt es der Minderheit der gut laufenden Betriebe oft an qualifizierten Fachkräften – auch weil der Sektor ein so schlechtes Image hat. „Mit dem Programm könnten wir 100.000 Arbeitsplätze schaffen“, meint Ostendorf, „und zwar gut bezahlte.“

Solche Programme brauchen allerdings, bis sie greifen. Der zähe Wandel ist überhaupt ein Kennzeichen des Sektors. Der statistische Durchschnittsbauer hat auch allen Grund, zäh zu sein. Knapp 20.000 Euro erwirtschaftet er pro Arbeitskraft und Jahr, davon in Deutschland die Hälfte aus Subventionen. Wenn diese staatlichen Gaben nur um weniges fallen, sind viele einfach pleite. Wenn die EU-Länder bis 2012 nun neben empfindlichen Preiskürzungen etwa für Milch wieder nur Kosmetik statt wirklicher Reform bieten, wird es für viele änderungswillige bäuerliche Betriebe zu spät sein.

Kunden für Discounter

Renate Künast und ihre Leute wissen das natürlich und sinnen auf schnellere Entlastung. Der letzte Schrei: Sie versuchen, am Ende der Preisschraube zu drehen, indem sie die Supermärkte angreifen. „Unser Problem sind die Discounter“, sagt Künast. Sie wirft Aldi, Lidl und Co unlautere Billigpreise, Lockangebote und Dumping vor. Wer die Preise so nach unten treibe, ruiniere nicht nur die Bauern und die Verarbeiter, sondern beeinflusse auch die Qualität: „Der Landwirt hat dann keine Chance mehr, seine Mehrarbeit etwa für Landschafts- oder Tierschutz honoriert zu bekommen“, so die Verbraucherministerin gestern. „Bei dem Preisdruck wird es auch wieder spannend, illegal nachzuhelfen.“ Wie etwa mit Antibiotika im Tierfutter.

Dummerweise scheinen die Verbraucher eine sehr hohe Meinung von den Discountern zu haben. Mitten in der Einzelhandelskrise steigen deren Umsätze und Gewinne deutlich. Gut ein Drittel der Lebensmittel gehen als No-Name-Produkte durch die Kassen der Billigläden, bei Frischgemüse sogar 45 Prozent, so am Montag die Zentrale Markt- und Preisberichtsstelle. Rechtlich wird die Bundesregierung dagegen trotz der geplanten Neufassung der Wettbewerbsgesetze wenig ausrichten können. Dafür sind die großen Händler allemal zu gewieft.

Bleibt der Appell an deren Kundschaft, die vorgeblich ignorante. Doch Vorsicht, derzeit handeln die Verbraucher durchaus rational. Die große Mehrheit kauft nun einmal in Supermärkten – ob nun hochpreisige oder Discounter. Und in diesem Segment ist fast die gesamte Ware von standardisiertem Geschmack und weit gereist, vom Marken- bis zum No-Name-Produkt.

Dass es beim Einzelhandel zu wenig „gute Ware“ im Sinne einer Wunschlandwirtschaft gibt, hilft den Discountern bei ihrem Siegeszug, nicht aber den Verbrauchern bei ihrer Kaufentscheidung. Wer sieht den Produkten schon die bankrotten Bauern an, die überdüngten Bäche und die grinsende Agroindustrie?