: Vorschläge zum Reformstau
Es geht um den Standort Deutschland! Es muss etwas passieren! Aber mit diesem Abteilungsleiter wird das nie was! Dabei könnte alles doch so einfach sein! Eine Geschichte aus dem Arbeitsamt
von FALKO HENNIG
Sie waren überall, das spürte er deutlich, Außerirdische, oder das Lächeln Gottes, wie Mikroben, die sich an die Atome geheftet hatten. Im Fernsehen lief der „Presseclub“: „Die Deutschen leben in einem sehr verkrusteten, verklebten Staatssystem.“ Das stimmte, erst neulich war ihm klar geworden, sein Vorschlag, das Arbeitsamt zu reformieren, war auf freche Weise ignoriert worden. Dabei war er doch selber dort als Arbeitsvermittler tätig und kannte sich also aus. Und es wäre die Lösung gewesen, die vielen Räume des Arbeitsamtsgebäudes mit Drahtgittern und Hühnern auszustatten, genug Eier für die Kantine und Hühnersuppe, Broiler, Chickenwings, wie sie die jetzt nannten.
Aber schon beim Abteilungsleiter war er abgeschmettert worden. Herr Kniebaum, diese widerliche Ratte, was hatte der gesagt: „Ich wusste gar nicht, dass Sie einen solchen Sinn für Humor haben, Herr Siewering.“ Den sollte man mit Scheiße klonen. Überhaupt, dieses Klonen bot doch auch so viele Ansätze: Hühner und geflügelte Affen, die könnten sie dann ausschicken und überprüfen lassen, ob die Herren und Damen Arbeitsuchenden ihrer Mitwirkungspflicht nachkommen. Oder sie direkt erschießen, einfach an die Wand stellen. Reformstau, das staute sich nun schon seit Jahren, es musste doch mal einen klaren Schnitt geben. 70 Prozent leben in Berlin von staatlichen Zuschüssen, das durfte doch nicht wahr sein. Ghettos schaffen, LSD ins Trinkwasser, warum zur Hölle machte niemand was?
Vollkaskomentalität, das war das Problem. Es gab doch so viele Lösungsansätze. Das Arbeitsamt in einem dieser Cargolifter aufhängen und dann, wenn die Warteräume so richtig voll wären, anfangen, das ganze Gebäude zu schwenken, so zu schaukeln, erst langsam, dann schneller. Dann würden sie sich schon überlegen, ob sie hier ihre Hände aufhielten. Er hatte in dieser Richtung ja schon mal mit Aktionen begonnen, so Kapseln mit Filmblut zu verwenden. Als dieser arbeitslose Akademiker in sein Zimmer kam, hatte er sie zerbissen, dass das Blut die Mundwinkel hinunterlief, die Augen verdreht und war mit dem Kopf auf den Tisch geknallt. Der hatte vielleicht geguckt, war rausgerannt. Siewering hatte schnell alles aufgewischt und den nächsten hereingerufen. Als dieser Akademiker aufgeregt zurückkehrte, hatte Siewering ihn nur verständnislos angesehen und gesagt: „Warum sind Sie nicht gekommen? Ihre Wartenummer ist verfallen, Sie müssen sich eine neue ziehen.“ Solche Aktionen halfen doch mehr als langweilige Weihnachts- und Neujahrsansprachen, dass nun endlich der Ruck durch Deutschland gehen solle.
Mit den Wartenummern könnte man doch auch was machen, nach diesem Briefbombenprinzip. Oder einfach Geld abbuchen von diesen Kontos der Arbeitslosen, statt was draufzuzahlen. Dann würden sie sich doch auch endlich rühren und kümmern. Oder pro Monat Arbeitslosigkeit einen Finger abschneiden. Könnte man ja einfrieren, und dann, wenn sie wieder Arbeit hatten, pro Monat Vollbeschäftigung wieder rantransplantieren. Das Abtrennen ließe sich doch auch bestimmt mit diesen Wartenummerngeräten machen, man musste nur etwas innovativ sein. Oder einfach Selbstverwaltung einführen, so wie damals mit den Judenräten: dass die Leute, die jeden Tag ins Amt kämen, sich einfach selber kümmern müssten. Statt ich als Vermittler: Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen? Ist einfach niemand da, nur das Formular, das sie dann selber irgendwo ablegen müssten. Oder besser noch, dass sie das Formular erst mal suchen müssen. Dann würden sie auch mal endlich schätzen, was hier für sie getan wird.
Jetzt blenden sie bei diesem Schwarzweißfilm einen blauen Balken mit einer Eilmeldung ein: „Entführtes Kleinflugzeug kreist über Frankfurt am Main, Näheres in der Tagesschau um 17 Uhr.“ Na, das war doch schon klar, auch wieder so ein Kandidat, das sind doch alles Kandidaten hier, Kunden. 70 Prozent! Das muss man sich mal vorstellen, kein Wunder, dass damals Hitler alles bombardiert hat. Wie hat der immer gesagt? Gebt mir eine Woche, und ich löse das Problem.
Eine andere Innovation würde gleich mehrere Probleme lösen. Hier herrscht ja sexueller Notstand. Die Märker von gegenüber, der sieht man das sofort an. Ein paar mal täglich GV, und sie funktioniert wieder wie ein Uhrwerk. Und das hat doch auch Hartz vorgeschlagen, dass sich alle mehr auf das freie Unternehmertum besinnen sollen. Und da bietet sich das älteste, horizontale Gewerbe der Welt an. Das würde hier im Haus jedenfalls die Stimmung sehr verbessern. Bei mir auf jeden Fall.
Vielleicht könnte man auch die Posaunen von Jericho an diese Wartenummernfanfaren koppeln. Oder Helmut Schmidt die Treppe runterschubsen? Nein, lieber doch Gentechnik, es sollten hier Gehirne gezüchtet werden. Das geht doch längst, die müssen in so großen Gläsern mit Nährlösung aufgezogen werden, wie Kristalle. Und wenn dann einer von diesen, wie nennt man sie, diesen sozial Schwachen, mal wieder hereinkommt und jammert, dann kann man ihm das Hirn einsetzen und allen ist geholfen. Die entnommenen Hirne kann man ja dann an die Hühner verfüttern. Aber mit Herrn Kniebaum wird das nie was. Armes Deutschland!
Nein, einfach ist es nicht. Es muss dringend was passieren, es geht um den Standort Deutschland.