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Archiv-Artikel

Baden wie der Prinz von Wales

Am liebsten möchte man nicht wieder aufstehen. Das muss man auch nicht. Für 15 Euro kann man den ganzen Tag indem heißen, öligen Algenbad liegen bleiben. Wellness in Kilcullen’s Seaweed Baths in Enniscrone im Nordwesten Irlands

Es dauert, bis man den Körper Stück für Stück in das salzige Wasser eingetaucht hatManchmal schicken Schönheitskliniken ihre Kundschaft ins Algenbad

von RALF SOTSCHECK

Christina Kilcullen, eine blonde Mittvierzigerin im Trainingsanzug, hat einen Kater. „Ich warte auf eine große Flut, die alles wegspült“, sagt sie. „Ich habe die Nase voll von Algen.“ Sie meint es nicht so. Gleich darauf erzählt sie, dass sie sich einmal den Halswirbel gebrochen hatte und das Meeresalgenbad der einzige Ort war, wo sie sich schmerzfrei aufhalten konnte.

Die Vorfahren ihres Ehemanns Edward, fünf Generationen zurück, haben die Bäder im Jahr 1912 eröffnet. „Im Jahr der ‚Titanic‘ “, sagt Christina Kilcullen, „das Grundstück dafür hatten sie bereits vierzehn Jahre zuvor gekauft. Das Gebäude im edwardischen Stil war damals der letzte Schrei, und seitdem hat sich nicht viel verändert. Ein paar Renovierungen und Modernisierungen hier und da, aber die Einrichtung der Bäder ist fast hundert Jahre alt.“

Algenbäder gab es in Enniscrone bereits vorher. Manche glauben, dass sie hier erfunden worden sind. Schon um 1750 stand eins dieser Badehäuser an den Klippen nicht weit von den Kilcullens, doch das war der privaten Nutzung des Großgrundbesitzers Christopher Orme vorbehalten. Im 19. Jahrhundert setzte sich das Baden im Meer durch, weil viele dem damaligen Prinzen von Wales nacheiferten, der ein begeisterter Schwimmer war. Dadurch kamen auch die Algenbäder in Mode, Ormes Erben öffneten das Badehaus schließlich der Öffentlichkeit – jedenfalls der Oberschicht. Es herrschte ein solcher Betrieb, dass der alte Kilcullen beschloss, selbst ein Badehaus zu eröffnen.

Die Ausstattung kostete damals tausend Pfund – ein Vermögen. „Das Rohrsystem, durch das das Meerwasser über einen Torfofen in die Bäder geleitet wurde, galt als klempnerisches Meisterwerk“, sagt Christina Kilcullen. „An so manchem Wochenende wurde eine ganze Tonne Torf verfeuert, um das Atlantikwasser zu erwärmen.“ Heute wird das Wasser durch einen Ölboiler erhitzt, nachdem es mit einer elektrischen Pumpe in zwei riesige offene Tanks auf dem Dach gepumpt wurde.

Zwei Mal täglich bei Flut muss die Pumpe unten am Strand eingeschaltet werden. „Im Sommer ist das manchmal um drei Uhr nachts“, sagt Kilcullen. Die Algen werden an dem sechs Meilen langen Sandstrand geschnitten. Nach dem Gebrauch kommen sie in Komposttonnen, ein Bauer holt sie für seine Gemüsebeete ab. Christina Kilcullen holt einen Korb frischer Algen aus dem Hof. In der Ecke läuft ein Rohr an der Wand hinunter. Dreht man den Hahn auf, strömt heißer Dampf heraus. „Die Algen müssen 15 Sekunden gedämpft werden“, erklärt Kilcullen. „Dabei verändern sie ihre Farbe von dunkelbraun nach flaschengrün und geben ihre Öle in der Wanne ab.“

Doch noch ist es nicht so weit. Bevor man sich in die Wanne legt, muss man in einen Holzkasten, der oben ein Loch hat, aus dem nur der Kopf herausragt. Mit einem Holzhebel neben dem Sitz des sargähnlichen Möbels wird ein Hahn geöffnet, und während sich die Poren durch den heißen Dampf, der in den Kasten strömt, langsam öffnen, behält man trotzdem einen kühlen Kopf.

Der bewahrt einen davor, zu schnell in die Wanne zu springen. Das Wasser ist heiß, sehr heiß. Es dauert eine Ewigkeit, bis man den Körper Stück für Stück in das salzige Wasser eingetaucht hat. Das Porzellan der Wannen ist rund zwölf Zentimeter dick, jede Wanne wiegt eine halbe Tonne. Würde man sie heutzutage anfertigen lassen, müsste man mindestens 20.000 Euro dafür bezahlen. Als die Kilcullens vor fünf Jahren drei Küchenräume als zusätzliche Badezimmer einrichten wollten, hatten sie Glück: Die Räume waren früher Badezimmer, bevor die Vorfahren sie erst in Schlafzimmer und dann zur Küche umbauen ließen. Die Wasseranschlüsse und Rohrleitungen waren noch vorhanden, die Wannen bekam man preiswert von den Bädern im Schloss von Enniscrone, das aus finanziellen Gründen geschlossen werden musste.

Wenn man in der wuchtigen Wanne liegt, bedeckt von Meeresalgen, fühlt man sich schwerelos und vergisst den Alltag. Die Zeit bleibt stehen, man betrachtet träge die Umgebung. Die Wände des Badezimmers sind mit grünen edwardischen Kacheln getäfelt, neben der Wanne liegt ein Handtuch auf einem Holzstuhl, dem einzigen modernen Möbelstück im Raum. Stellt man sich auf den Stuhl und öffnet dann das Kippfenster über der Milchglasscheibe, hat man einen freien Blick direkt auf den Atlantik.

Über der Wanne hängt drohend ein riesiger Brausekopf aus Metall, daneben ein verdächtiges Gestänge mit einem Griff. Zieht man daran, kommt das Atlantikwasser mit einem Schwall aus der Brause. Im Winter ist das Wasser natürlich eiskalt, ein herber Kontrast zu dem heißen Algenbad, den man nur ein paar Sekunden aushält. Zum Glück versiegt das Wasser sofort, wenn man den Griff loslässt. Hin und wieder hört man Schreie aus den anderen Badezimmern, wahrscheinlich dann, wenn einer der Gäste ahnungslos an dem Griff gezogen hat.

„Wir haben 10.000 Besucher im Jahr“, sagt Christina Kilullen, „vor zehn Jahren waren es nur tausend – vor allem alte Männer und Frauen, die ihr Rheuma kurieren wollten. Sie schworen auf die Algenbäder und tun es noch heute. Aber inzwischen kommen auch junge Leute. Es hat sich herumgesprochen, dass die Algenbäder viele natürliche Öle und Mineralien enthalten, was gut für die Haut ist. Manchmal schicken sogar Schönheitskliniken ihre Kundschaft zu uns. Selbst Hautausschläge können geheilt werden, denn der hohe Jodgehalt wirkt antiseptisch.“ Die Krücken habe allerdings noch niemand nach einem Algenbad weggeworfen, räumt Kilcullen ein.

Wenn etwas gesund und exotisch ist und dazu noch Spaß macht, bleiben Prominente nicht aus. Sean Connery war mal hier, erzählt Christina Kilcullen möglichst beiläufig, er sei ein Freund ihres Bruders. „Die Leute drängelten sich vor den Bädern. Ein anderer Schauspieler, Daniel Day-Lewis, besuchte uns auch mal, als ‚Der letzte Mohikaner‘ gedreht wurde. Wenn er mit seiner wallenden Mähne am Strand entlangritt, standen alle Mädels des Dorfes seufzend auf der Promenade. Dann waren da noch die Corrs. Wahrscheinlich haben diese Pop-Sängerinnen wegen unseres Algenbades eine solch schöne Haut. Terry Wogan, der Moderator der BBC, hat vor Jahren mal einen Film über uns gedreht. Ich hatte Terry Wogan bis dahin sehr verehrt, aber er entpuppte sich als unangenehmer Zeitgenosse. Ich glaube, er hasst Algen und wäre lieber woanders gewesen.“

Dann zieht sie ihren Trainingsanzug aus, unter dem ein Badeanzug zum Vorschein kommt. „Ich schwimme jetzt eine Runde im Meer“, sagt sie. „Das mache ich im Sommer wie im Winter. Es ist das beste Mittel gegen einen Kater. Das haben schon meine verrückten Vorfahren getan. Und die wurde alle mindesten 90.“

Kilcullen’s Seaweed Baths, Enniscrone, County Sligo, Irland. Tel. (0 03 53-96) 3 62 38, Fax 3 68 95. Geöffnet von12–20 Uhr, am Wochenende von 10–20 Uhr (Mai bis Oktober bis 21 Uhr).15 Euro, Doppelkabine mit zweiWannen 25 Euro