piwik no script img

Archiv-Artikel

„Aufwachen! Geld machen!“

Seit zehn Jahren gibt Helmut Markworts bunte Illustrierte Lebenshilfe. Wie sich so ein Leben lebt, lässt sich an „Focus“-Titelgeschichten ablesen. Eine kleine biografische Collage zum Geburtstag

von ARNO FRANK

Jochen K. schlief tief und fest, denn er hatte aufmerksam die Titelgeschichte des Focus gelesen: „Schlaf Dich fit!“, wie Sie nachts Kraft tanken, mit Einschlaftipps und neue Therapien. Seine Träume von teuren Autos, digitalen Kameras und tollen Handys wurden jäh unterbrochen, als es frühmorgens vom Nachttisch brüllte: „Aufwachen! Geld machen!“, intelligente Strategien zum Erfolg. []Also klemmte sich Jochen nach dem Frühstück („So essen Sie sich gesund“) das Nachrichtenmagazin seines Vertrauens unter den Arm und suchte erstmal einen Studienplatz: „Welches Studium sich wirklich lohnt“, mit großer Gehaltstabelle, aber trotzdem trendbewusst: „Uni-Trend in Deutschland: Schneller studieren.“ Das Problem: Jochen hatte gar kein Abitur!

Die Lösung: „Karriere ohne Studium“, schneller zum Erfolg in New Economy, Medien, Banken und Industrie. Plus: die Ausbildungen mit Job-Garantie. Also entschied er sich für eine Ausbildung zum Bankkaufmann, denn er wollte „Zu den Besten gehören“, zur neuen Leistungs-Elite. Also lernte Jochen, wie man einen Schlips bindet, kniete sich rein und fuhr die Ellbogen aus: „Warum wir siegen wollen“, so gehen Sie intelligent mit Ihren Instinkten um. Seine Kollegen mieden ihn. Aber das waren sowieso alles Luschen, die nicht wussten, was sie wollten. Im Leben und so.

Am Ende seiner Ausbildung wusste er jedenfalls alles über die „Psychologie des Erfolgs“ und folgte den Spuren der Siegermentalität. Das mit dem Job bei der Bank ging dann auch ganz fix. Dank seiner soliden Siegermentalität würden „Die neuen Erfolgreichen“ bald einen neuen Erfolgreichen in ihrer Mitte begrüßen können, dann wäre auch Jochen bald cool, kreativ und nie mehr arm. Deshalb las er in seiner kleinen Butze, die er zur Untermiete bewohnte, alles über die Helden der Börse, wie sie leben, was sie antreibt, ihre Überzeugungen.

Bald reifte in Jochen die Überzeugung, dass er mehr verdienen, mehr für sich rausholen müsse: „So viel könnten Sie verdienen“, wie Sie mehr für sich rausholen. Schließlich gab’s Messen wie die IAA, die Photokina oder die CeBit, wo teure Autos, digitale Kameras und tolle Handys vorgestellt wurden – auf der Titelseite des Focus. Zwar vertraute er auf die „Börse: Die neue Gewinn-Formel“, so verdienen Sie am meisten – hatte aber kein Geld zum Anlegen. Scheibenkleister!

Aus dieser schlimmen Lage wurde Jochen durch einen traurigen Glücksfall in der Familie befreit. Dank intelligenter Tipps („So retten Sie ihr Erbe!“) hatte er nun ein hübsches Sümmchen auf der hohen Kante und sagte sich: „Sorge Dich nicht! Werde reich!“ Ab jetzt ging’s steil aufwärts für Jochen: „Das können Sie sich sparen: 18 Tipps für Ihr Geld“, und er erlag dem „Börsenfieber 2000“, wo er dank 30 Tipps zum Geldverdienen noch mehr Geld verdiente. Geld, das er dann wieder in einem neuen Markt anlegte, von dem er gelesen hatte: „Das Web im Test: Was kann das Internet wirklich?“ Geilomat!

Bald konnte Jochen ein „Ferienhaus im Paradies“ sein Eigen nennen, wo er alle „20 Telefon-Tricks für Auslands-Gespräche“ beherzigte. Die billigsten Flüge buchte er über das „Reisebüro Internet“, versteht sich. Und „Top-versichert für weniger Geld“ war er sowieso. Gegen die Einsamkeit aber, die ihn in seinem plätschernden Pool in Mallorca („Superstar Sonne“) plötzlich ansprang wie eine lästige Erkältung, gegen die Einsamkeit gab es keine Versicherung.

Also verschlang er alles über „Die wahre Lust der Frauen“, das Geheimnis des weiblichen Orgasmus und was den Mann zum guten Liebhaber macht. Er zog Konsequenzen: „Fit, gesund, knackig – der ideale Sport für Sie.“

Leider war Jochen vor lauter Bungee-Jumping, Mountain-Biking und Money-Making so beschäftigt, dass er einfach keine Frau kennen lernte. Es klappte dann doch noch, mit der „Singlebörse Internet“, wo Jochen alle Trends mitmachte, von Speed-Dating bis Blind-Date-Dinner. Sabine war dann echt total süß. Sie wollte sogar ihre Rechnung selbst bezahlen und bestand, ganz Anwaltsgehilfin, auf einem Ehevertrag. Jochen liebte sie für ihre pragmatische Ader. Und er liebte ihre Grübchen.

Nach zwei Jahren aber waren Sabines Grübchen volleren Wangen gewichen, und „Treue, Sex und Seitensprung“ wurden für Jochen immer mehr zum Thema. Da war sie wieder, diese Leere, trotz Sabine. Dafür machte es ihm Chantal mit dem Mund, was auch nicht zu unterschätzen ist. Es machte ihn „Einfach glücklich“, so kam er ohne Stress zum schönsten Gefühl der Welt. Sabine gegenüber verstrickte er sich immer mehr in „Das Geheimnis der Lüge“, Plus: so erkennen Sie Lügen („ausweichende Antworten, Erröten, Erbleichen“), aber es hatte keinen Zweck. Da half auch der „Crash-Kurs für Paare – Beziehungs-Glück kann man lernen“ nicht mehr. Er unternahm dann noch ein paar halbherzige Versuche, „Damit Frauen und Männer sich doch verstehen“, führte ziellose Diskussionen über ein gesellschaftliches Missverständnis: „Böse Männer, gute Frauen“ – Sabine reichte dann die Scheidung ein, die Schlampe.

Mit Chantal hätte er gerne das „Glück im zweiten Anlauf gefunden“, wäre klüger in der neuen Ehe gewesen – doch Chantal lehnte seinen Antrag ab. Jochen konnte es ihr nicht verdenken, denn seine Kohle gehörte jetzt einem der 50 besten Scheidungsanwälte Deutschlands.

Völlig aus- und abgebrannt machte er bald Bekanntschaft mit der „Massenkrankheit Angst“. Und auch die „Kunst der Motivation“ hilft nicht weiter, wenn man dieses unheimliche Zwicken in der Brust verspürt. Mit zielgenauen Medikamenten vertraute er daher auf „Neue Strategien gegen den Krebs“, hätte aber besser „Pillen gegen den Herzinfarkt geschluckt“.

Nach einem Leben voller Focus-Themen (Geld, Gesundheit, Genitalien) macht Jochen heute Ferien für Körper und Geist und hat seine ganz individuelle Erholungs-Strategie endlich gefunden. Auf dem Zentralfriedhof.