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Archiv-Artikel

Schöne Geldgrüße aus dem Ausland

Indien hofiert seine ausgewanderten Bürger in der Hoffnung auf mehr finanzielle Unterstützung aus Übersee. Die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft soll nur für Inder in reichen Ländern gelten. Dort haben es viele zu Wohlstand gebracht

„In die USA emigrierten in zwei Jahren 60.000 IT-Spezialisten“

von BERNARD IMHASLY

Premierminister und Parlamentarier, Akademiker und Astronauten, Lords aus dem britischen Oberhaus und Millionäre aus Fidschi, amerikanische Filmemacher und Schriftsteller gaben sich in den letzten Tagen in Delhi ein Stelldichein. Was sie verband, war, dass sie aus aller Welt angereist kamen, außer aus Indien, dem Land, aus dem sie alle stammen. Sie vertraten die rund zwanzig Millionen Auslandsinder, die ihr Land in den letzten Jahrhunderten verlassen haben, als Emigranten oder Vertriebene, als Arbeitssklaven und Glücksritter, mit Karriereabsichten oder auf der Flucht vor Armut und Hunger.

Zum ersten Mal hatte das Außenministerium eine Zusammenkunft der Non-Resident Indians (NRI) und Persons of Indian Origin (PIO) organisiert, weil es sich des wachsenden Gewichts bewusst ist, das eine politisch einflussreiche und wirtschaftlich potente Diaspora in einer globalisierten Welt spielt. Sie machen nur zwei Prozent der Milliardenbevölkerung ihres Mutterlandes aus, doch ihre Wirtschaftskraft, die auf 160 Milliarden Dollar geschätzt wird, erreicht über dreißig Prozent des nationalen Wirtschaftsprodukts Indiens.

Zwar gibt es immer noch arme PIOs, etwa in den ehemaligen britischen Kolonien der Karibik, wo indische Vertragsarbeiter im 19. Jahrhundert auf Plantagen angesiedelt wurden, nachdem das Parlament in London den Sklavenhandel aus Afrika abgeschafft hatte. Doch die große Mehrheit der Emigranten hat es zu Wohlstand gebracht. Die Sikhs in British Columbia waren vor hundert Jahren als Holzfäller angeheuert worden, heute residiert einer ihrer Nachfahren als Minister für Naturschätze in Ottawa. Noch erfolgreicher waren die vielen tausend Studenten, die mit Stipendien in die USA gelockt wurden und sich dort als Ingenieure, Ärzte und Manager niedergelassen haben. Die US-Inder weisen heute das höchste Pro-Kopf-Einkommen aller ethnischen Gemeinschaften aus, zweimal so hoch wie jenes der europastämmigen Mehrheit. Die Nachfahren der Patel-Bauernkaste aus Gujerat etwa beherrschen heute rund die Hälfte aller Motels entlang der amerikanischen Fernstraßen, was diesen den Namen „Potels“ eingetragen hat. Im letzten Jahr immatrikulierten sich 67.000 Inder an amerikanischen Universitäten, zum ersten Mal mehr als Studenten aus China und Taiwan.

Bei den Heimatinvestitionen liegen die Auslandsinder allerdings weit hinter jenen der Auslandschinesen. Die indische Regierung möchte mit der stärkeren Anbindung der Diaspora mindestens einen Bruchteil der 22 Milliarden Dollar mobilisieren, die Chinesen im Exil jährlich in Richtung Beijing zurückfließen lassen. Es gibt inzwischen eine Reihe von rechtlichen Lockmitteln, die NRI-Investitionen den Weg ebnen sollen. Beim Auslandsinder-Kongress kündigte Premierminister A. B. Vajpayee zudem an, dass Personen indischen Ursprungs in Zukunft die Doppelstaatsbürgerschaft eingeräumt werden soll. Die nationalistische BJP verfolgt damit auch parteiideologische Ziele. Sie hat in den großen Exilländern USA und Großbritannien mit Erfolg die latente Angst vor dem kulturellen Selbstverlust geschürt, den viele Hindus in der Fremde verspüren. Mit einer religiös verbrämten und oft chauvinistischen Rhetorik des nationalen Stolzes wirft die BJP den entwurzelten Auslandsindern einen emotionalen Anker aus, der sich auch finanziell auszahlt. Heute gehören amerikanische und britische „Freunde der BJP“ zu den wichtigen Geldgebern der Partei. Erst kürzlich wurde publik, dass eine amerikanische NGO seit Jahren Millionen von Dollar für Hindu-Organisationen sammelt, die in den jüngsten Unruhen in Gujerat eine unrühmliche Rolle gespielt haben.

„Ihre Wirtschaftskraft erreicht über dreißig Prozent des indischen Wirtschaftsprodukts“

Wie so oft in Indien läuft aber auch hier die Rhetorik der Realität davon. Die Doppelstaatsbürgerschaft beschränkt sich auf indischstämmige Bürger der sechs reichsten Commonwealth-Länder plus der Vereinigten Staaten. Und sie wird nicht in die Aushändigung eines nationalen Passes münden, sondern in eine Identitätskarte, die dem Inhaber freies Wohn- und Besitzrecht, aber kein Wahlrecht einräumt. Dies ließ beim Diaspora-Kongress ein deutliches Unbehagen zurück, vor allem unter den Delegierten aus Afrika und dem Mittleren Osten, die sich als „arme Verwandte“ der reichen Onkel aus den westlichen Industriestaaten fühlen. Dabei kommt der weitaus größte Kapitalfluss nicht von den mehreren tausend indischen Softwareunternehmern aus dem Silicon Valley, sondern von den Köchen, Krankenschwestern und Buchhaltern, die in den arabischen Staaten ihr Geld verdienen. Während diese mit ihren Postschecküberweisungen ihre Familien zu Hause ernähren, halten sich potenzielle Investoren zurück, wenn sich das Heimweh nicht mit dem nüchternen Gewinnkalkül in Deckung bringen lässt.

Anders als China hat Indien seine diesbezüglichen Rahmenbedingungen kaum attraktiver gemacht. Während die Regierung im Kongresspalast in Delhi ihre Auswanderer hofierte, drängten sich nur einige Kilometer weiter, vor den Botschaften der klassischen Einwandererländer USA, Kanada und Australien, hunderte von Indern in der Hoffnung auf eine Einreise- und Arbeitsbewilligung. Mehrere hunderttausend verlassen jährlich ihre Heimat, weil sie im Ausland bessere Chancen sehen, auf einen grünen Zweig zu kommen. Allein in die USA emigrierten in den letzten zwei Jahren 246.000 Personen, darunter rund 60.000 Computerspezialisten.

Die Gründe für die Emigration sind dieselben, die viele Auslandsinder davon abhalten, ihr Geld – oder gar ihre Familien – wieder in der alten Heimat anzusiedeln: staatlicher Schlendrian, Korruption, Rechtsunsicherheit, eine desolate Infrastruktur. Dazu kommt, dass die BJP mit dem Auftrumpfen einer Hindu-Identität ebenjene Qualitäten untergräbt, die den Erfolg der Auslandsinder ausmachen. Dieser gründet, sagte einer der bekanntesten Auslandsinder, Nobelpreisträger Amartya Sen, beim Diaspora-Kongress in Delhi, in ihrer außerordentlichen Fähigkeit, sich in einer oft feindlichen multikulturellen Umwelt anzupassen, als Minderheit ihre Eigenart zu behalten, ohne jene der anderen in Frage zu stellen.