: Nicht alles untergehen lassen
Carsten Johannsen ist Bauer und Fleischkontrolleur bei Niebüll, und wenn die Wut zu groß wird, dann setzt sich der 56-Jährige hin und schreibt politische Gedichte. Die gibt es auch als Lieder
von PETER AHRENS
Es gibt Sachen, über die kann sich Carsten Johannsen so richtig aufregen. Wenn die Rechten aufmarschieren zum Beispiel oder wenn die Atomwirtschaft fette Gewinne macht. Und wenn die Wut über die Ungerechtigkeiten dieser Welt ganz stark ist, dann setzt sich der 56-Jährige in seine Bauernstube und fängt an Reime aufzuschreiben. An den Wurzeln nagt der braune Wurm, die Geier lauern auf dem Turm. Jeder, der die Gefahr spürt und sich nicht vom Sofa rührt, schreiten jene Kräfte zur Macht, haben sie sich schuldig gemacht. Carsten Johannsen ist kein Dichter. Er ist Landwirt und Fleischkontrolleur in einem friesischen Nest bei Niebüll, der nächste Nachbar wohnt 200 Meter weit weg, und Carsten Johannsen sagt: „Die Gedichte, das ist mein Leben.“
Sozialabbau, Sozialabbau, wer füttert noch eine kranke Sau. Soll sie doch krepieren, warum lange investieren. Wo nur die Starken siegen und die Schwachen sich verbiegen. Carsten Johannsen ist kein Intellektueller, kein Bohemien, kein Künstlerfürst, der sich in die Provinz zurückgezogen hat, um seinen Seelenschmerz zu pflegen, „ich bin nur ein Bauer, der auch mal über Sachen nachgedacht hat“. Einer, der immer schon in seinem Dorf gelebt hat, sein Leben lang Bauer war, „ich bin einer, der gern allein sein mag“.
Und wenn er so allein ist und ihm Gedichtzeilen einfallen, „dann muss ich mich hinsetzen und die aufschreiben, das ist wie eine Geburt“. Mit 16 Jahren hat er das Gedichteschreiben angefangen, dann hat er es erst einmal „20 Jahre lang in die Ecke geschmissen“, und dann traf er Volker Ransch. Der ist Musiklehrer, hat früher in der DDR schon Musik gemacht und Johannsen davon überzeugt, die Texte zu Liedern zu machen.
So sitzen Johannsen, Ransch und ein paar Gleichgesinnte – „das sind Leute von uns hier in Niebüll“ – jetzt regelmäßig in einem Schuppen auf dem Lande zusammen und üben Songs ein. Lieder, die Namen haben wie „Das Mauerlied“, „Korruption“, „Heiliges Land“. Abends noch auf Wolken fliegen, morgens in der Gosse liegen. Wieder durch bunte Pillen befreit, doch Glück nur für kurze Zeit.
Eine CD ist daraus schon entstanden mit dem etwas umständlichen Namen „Reinheitsgebot für Bier und Politik“. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte soll sich dafür schon interessiert haben. Ansonsten ist das mit der Resonanz bisher eher bescheiden. So hat Johannsen eine Veranstaltung gegen Rechts mitorganisiert, es sind nicht viele Leute gekommen.
Gegen Atomkraft hat er schon geschrieben, gegen „die Ellbogengesellschaft“, aber ab und an bringt er auch Gefühlvolles und Lustiges zu Papier. „Ich kann ja nur in bescheidenen Worten formulieren“, sagt er fast entschuldigend, und dass „man für Literatur und Gedichte in unserer Gegend an sich nicht so geschaffen ist“. Der Wind hat zerrissen, seinen letzten Lebensschrei. Wahrheit sucht das Gewissen. Und keiner fühlt sich frei.
Irgendwann will Johannsen „mal einen Gedichtband machen“, aber normalerweise lässt ihm der Bauernhof zu wenig Zeit dazu. Warum er das überhaupt alles macht? „Ich will all das, was ich geschrieben habe, nicht einfach so untergehen lassen.“