Acid im deutschen Wald

Kommt jetzt das große Crossover von Techno und Klassik? Nach dem E-Schlucken die E-Kultur? Wolfgang Voigt führte am Sonntag in Leipzig sein Bruckner-Sampling-Projekt Gas auf. Und Carl Craig und Moritz von Oswald remixen Maurice Ravel

Was war das für eine Aufregung gewesen, als diese Musik erschien! Nationalismusverdacht! Darf-man-das?-Diskussionen!

VON TOBIAS RAPP

Die Musik rauscht, sie brummelt, sie grummelt, sie dräut, sie schiebt. Manchmal wünscht man sich ja, man könnte Klang sehen, einfach nur, um nicht länger mit schiefen Metaphern hantieren zu müssen. An diesem Abend ist es so weit. Nachdem man die ersten Minuten in fast völliger Dunkelheit zugebracht hat, durch die sich nichts weiter schob als ein mächtiger Basston, tut Wolfgang Voigt einem an diesem Abend den Gefallen: Es ist Sonntag im Leipziger Centraltheater, und der Wunsch geht in Erfüllung. Auf der großen Leinwand hinter der Bühne erscheinen erst Lichtpunkte, dann Farbflecken, und auf einmal ist man im Wald.

Zwölf Jahre lang ist Wolfgang Voigt nicht mehr live aufgetreten, auch neue Platten hat er in den vergangenen acht Jahren so gut wie keine veröffentlicht, seit er sich auf der Höhe seines Schaffens vom Musikmachen zurückzog, um sich dem Aufbau des Kölner Techno-Imperiums Kompakt zu kümmern. Aber dann ist da diese schöne blaue 4-CD-Box, „Nah und Fern“ , die die Musik zusammenfasst und noch einmal herausbringt, die Voigt zwischen 1997 und 2000 unter dem Projektnamen Gas herausgebracht hat, vier Alben und eine EP, „Gas“, „Königsforst“, „Zauberberg“, „Pop“ und „Oktember“. Neu gemastert, mit aufwändigem Artwork versehen, es fehlen eigentlich nur noch die Linernotes, die erklären, womit man es bei dieser Musik zu tun hat: einem Klassiker der elektronischen Musik.

Was war das für eine Aufregung gewesen, als diese Musik das erste Mal erschien! Nationalismusverdacht! Darf-man-das?-Diskussionen! Und jetzt? Zusammen sitzt man im Theater und lässt sich von dem dunklen Strom donnernder Klangmagmas davontragen. Nicht nur das: Je länger man sich die wunderbaren Visuals anschaut, die Voigt zusammen mit der Künstlerin Petra Hollenbach entwickelt hat und die Bäume, Blätter, Blüten, Hölzer und Lichter in den verschiedensten Bewegungsstadien zeigen, desto stärker wird einem klar: Deutscher Wald bei Wolfgang Voigt, das heißt vor allem LSD in der Baumschule, Stroboskop im Unterholz, Acid auf der Blumenwiese.

Dieser Wald, durch den einen die Visuals da führen, erläutert aber nicht nur den kulturellen Assoziationsraum, den diese Musik zum Schwingen bringt, sie erzählt auch davon, wie diese Musik entstanden ist. Es sind lauter Bilder und Filme, die Voigt in den Wäldern rund um Köln gemacht hat, endlos geloopt und mit Filtern manipuliert. Dies sind Bilder, die der seriellen Kunst genauso verpflichtet sind wie den romantischen Waldfantasien. (Das Artwork ist als Buch erschienen, bei dem Konzeptualisten-Label Raster-Noton, das Unternehmen des Minimalisten Carsten Nicolai, der ja auch genauso im Club zu Hause ist wie in der Neuen Nationalgalerie).

„Für mich ist der Sampler das große Mikroskop im Labor, unter das man musikalische Fragmente legt, Versatzstücke, Versuchsstücke. Und die dann auf ihre Grundstruktur zurückführt und von da aus neue entwickelt“, hat Voigt seine Vorgehensweise einmal erklärt – die Ergebnisse waren erstaunlich: der Rechteck-Sägezahn seines Projekts Strass etwa, mit ganz grobem Gerät zusammengeklopfter Minimal Techno für besondere Stunden. Oder das Geradeaus-Geblubber seiner verschiedenen Auslegungen von Acid House. Schaffel, jene Durcharbeitung des 6/8-Glamrockbeats für das elektronische Zeitalter. Oder Polka Techno, noch so ein Versuch, elektronische Musik mit einem ungewohnten Rhythmus zu verbinden. Und Schlager-Techno, Voigts Versuch, eine deutsche Popsensibilität mit elektronischer Musik zu verbinden.

Aber nirgendwo entfaltet diese Methode einen solchen Zauber wie bei Gas. Man muss es schon wissen, dass man es beim Ausgangsmaterial mit Bruckner- und Wagnerschnipseln zu tun hat, die Voigt in seinen Sampler gefüttert hat, von den konkreten Bläsersätzen oder Streicherarrangements ist wenig übrig geblieben. Aber die Atmosphäre atmet jenes Gefühl faszinierter Bedrohung, das die Deutschen kulturhistorisch so gerne im Wald gesucht haben und das direkt mit all den Freuden korrespondiert, die die Pilze suchenden Hippies dort fanden.

Auch wenn ihre Platte vollkommen anders klingt: Methodisch sind Moritz von Oswald und Carl Craig mit ihrem Remix-Album „Recomposed“ gar nicht so weit weg von Gas. Auch sie arbeiten mit Material aus der großen Diskografie der Orchestermusik vergangener Epochen – nicht mit Bruckner und Wagner allerdings, sondern den „Bildern einer Ausstellung“ von Modest Mussorgsky und Maurice Ravels „Bolero“. Genau: das „Sex Machine“ der Orchestermusik zusammen mit jenem Klotz spätromantischer Programmmusik, der schon Emerson, Lake & Palmer Anfang der Siebziger zu zweifelhaften Taten des Progrocks inspirierte. Kann eigentlich nur schiefgehen, denkt man sich, wenn man die CD das erste Mal in der Hand hält. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Serie, in der die Musik erscheint, „Recomposed“ der Deutschen Grammophon, schon zwei Folgen hatte, die beide nicht sonderlich gelungen waren. Aber, große Überraschung: „Recomposed By Carl Craig & Moritz von Oswald“ ist ein brillantes Album.

Es ist schon spät, als die beiden in Berlin zum Gespräch laden, passenderweise nur ein paar Meter von der Philharmonie entfernt, auf der Terrasse des Hyatt Hotels. Einige Interviews sind schon ins Land gegangen, und das Erstaunliche an diesem Gespräch über das „Recomposed“-Album der beiden ist, dass es überhaupt stattfindet. Moritz von Oswald ist legendär öffentlichkeitsscheu, jahrelang gab er gar keine Interviews, dann gab es nur Hintergrundgespräche, die mit der dringenden Bitte verbunden waren, keine Zitate zu benutzen. Und nun sitzt er vor einem, zusammen mit Carl Craig. Von Oswald verbarg sich hinter dem legendären Berliner Technoprojekt Basic Channel, Carl Craig ist einer der bedeutendsten und vielseitigsten Detroiter Technoproduzenten.

Über ein Jahr lang haben sie immer wieder an diesem Projekt gearbeitet: Moritz von Oswald, einer der großen Perfektionisten des Techno, und Carl Craig, der wie kein anderer Drama in diese Musik zu bringen vermag. „Ich sag dir, was Mozart mir neulich gesagt hat“, scherzt Craig auf die Frage, wie wichtig Orchestermusik für seine musikalische Sozialisation war, „fahr nach Vegas und setz alles auf Rot. And that was Mo talking.“

Tatsächlich ist das Großartige an dieser Platte vor allem eines: Es ist eine Technoplatte, wenn auch für Freunde des erweiterten Technobegriffs. Doch außer dem immer wieder einmal auftauchenden Grundrhythmus hat es nicht übermäßig viel mit den Originalen zu tun. Einige Sounds werden benutzt, aber um sie zu erkennen, muss man die Einspielungen Herbert von Karajans schon genau studieren. „Recomposed“ nimmt die Stimmung des „Bolero“ auf und arbeitet mit einem ähnlichen dramaturgischen Bogen. Das war es aber auch schon. Wie bei einer Dubversion ist die Melodie des „Bolero“ auf der Strecke geblieben. Einige Passagen sind improvisiert – was passt, war doch Ravel in seinen letzten Lebensjahren ebenso vom Jazz inspiriert, wie Jazzmusiker sich später für die Harmonien der französischen Impressionisten interessierten.

Verschmelzen jetzt „Kickdrum und Konzerthaus“, wie es das Magazin De:Bug in seiner aktuellen Ausgabe postuliert? Haben wir es gar mit einem neuen Trend zu tun? Ist es wirklich nur Zufall, wenn Wolfgang Voigt, Moritz von Oswald und Carl Craig sich nun in andere kulturelle Gefilde begeben?

So überflüssig die Begriffe der U- und der E-Kultur seit langem sind, wenn es um die Produktion, Beschreibung und Kritik von Musik geht – die Institutionen sind immer noch da, die auf Basis dieser Unterscheidung einmal auf der E-Seite errichtet wurden. Vom Theater über das Opernhaus bis zur Deutschen Grammophon Gesellschaft. Und es gibt Techno, nicht nur die interessanteste und lebendigste Musik, die in Deutschland seit langer Zeit entstanden ist. Sondern auch eine Musik, die sich mit dem Samplen, Loopen und Collagieren seit jeher einiger Techniken bedient, die ganz ähnlich von den Avantgarden des 20. Jahrhunderts entwickelt und benutzt worden sind. Man kann es vielleicht auch so sehen: Im Techno haben sie tanzen gelernt. Und nun bekommt die E-Kultur sie einfach zurück.

Gas: „Nah und Fern“ (Kompakt), Wolfgang Voigt: „Gas“ (Raster-Noton), „Recomposed By Carl Craig & Moritz von Oswald“ (Deutsche Grammophon/Universal). Am 7. 10. werden Craig und von Oswald ihre Platte im Berliner Technoclub Berghain vorstellen, 21 Uhr