: Schröder gegen die britische Presse
Die Briten sind amüsiert über des Kanzlers Klage. Die Privatsphäre gilt in Großbritannien nicht viel
DUBLIN taz ■ Der Mail on Sunday konnte gar nichts Besseres passieren. Hat Gerhard Schöders Klage gegen die Zeitung wegen der Verbreitung von Ehegerüchten die Auflage doch stärker gesteigert als die eigentliche Geschichte – und nur um die Auflage geht es, auch wenn mehr als zwei Drittel der Briten angeblich für größeren Schutz der Privatsphäre sind. In Wirklichkeit liebt die britische Öffentlichkeit solche Skandalgeschichten. Das zeigen die Kioskverkäufe.
Schröders Klage hat dafür gesorgt, dass die Geschichte weiter ausgeschlachtet werden kann. Das euroskeptische Boulevardblatt präsentiert sich als Verteidiger der britischen Pressefreiheit gegen Versuche der Europäischen Union, den Schutz der Privatsphäre europaweit zu regeln. Während die EU in immer dunklere und instabilere Teile Europas expandiere, würden englische freiheitliche Rechte nicht nach Lettland exportiert, sondern lettische Richter würden schließlich über britische Rechte entscheiden, meint die Zeitung.
Der deutsche Kanzler sei ein „eitler Politiker, der keine Kritik verträgt“. Von solch einem lasse man sich nicht zensieren, schreibt die Mail on Sunday und legt nach: Die Leser wurden aufgefordert, dem Blatt Informationen mitzuteilen, die „Herr Schröder als peinlich empfinden würde, und die von der deutschen Presse veröffentlicht werden sollten“. Man habe dutzende Anrufe aus Deutschland bekommen, sagte ein Sprecher der Zeitung gestern zur taz. Die Informationen werden zur Zeit auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft und gegebenenfalls veröffentlicht, kündigte er an.
Die Überprüfung des Wahrheitsgehalts ist bei der britischen Boulevardpresse eine durchaus nicht gängige Praxis. Der Markt ist stark umkämpft, ein Recht auf Privatsphäre ist gesetzlich nicht verankert. Stattdessen haben sich die britischen Zeitungsverleger auf einen Ehrenkodex geeinigt und eine Beschwerdestelle eingerichtet. Der Kodex enthält lediglich zwei Zeilen zu dem Thema: „Das Familienleben, das Zuhause, die Gesundheit und die Korrespondenz eines jeden soll respektiert werden.“ Falls eine Zeitung jedoch „berechtigte Gründe“ für eine Verletzung des Kodexes sehe, hat sie kaum Konsequenzen zu befürchten. Der Kodex wird ständig verletzt, sei es durch Teleobjektivaufnahmen von nackten Filmstars wie Liz Hurley und Martine McCutcheon oder Geschichten über Seitensprünge von Politikern wie Expremier John Major oder seines Ministers David Mellor, der auf der Titelseite des Daily Mirror per Montage im Chelsea-Fußballtrikot abgebildet wurde. Weil er das bei seiner Affäre mit einer spanischen Schauspielerin angeblich so gerne trug.
Nur die wenigsten der Betroffenen klagen. Sie wissen, dass es aussichtslos ist. Geoffrey Robertson, der führende britische Medienjurist, sagte, Schröder müsste eine einstweilige Verfügung in Großbritannien durchsetzen, was äußerst schwierig ist. Selbst die seriösen Zeitungen sind auf Seiten der Mail on Sunday. Der Guardian schrieb gestern, dass die britische Regierung die Vereinbarung von Rom zum Presserecht nicht unterzeichnen dürfe: „Sonst laufen die britischen Medien Gefahr, vor ihren einheimischen Gerichten verklagt zu werden für die Verletzung von Gesetzen in anderen Ländern.“ Und der liberale Journalist Tom Bower sagte: „Ein Gesetz zum Schutz der Privatsphäre schützt nur die Schuldigen und diejenigen, deren Handlungen öffentlich diskutiert werden sollten.“
RALF SOTSCHECK
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen