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Archiv-Artikel

„Alles Leichen, alles gestorbene Betriebe“

Demonstration in Bügelfalten: Bremer Unternehmer fahren in ihren dunklen Limousinen stundenlang im Kreis, verteilen Flugblätter mit Schokoladen-Riegeln, tragen Leichenhemden zu Chopin-Musik durch die Innenstadt. Und das alles nur wegen Schröder

Demonstrieren? „Ich habe ziemlich unruhig geschlafen heute Nacht.“

taz ■ Die dunklen Limousinen kommen kurz nach zwölf. Ein kurzer Halt am Straßenrand, eine Handvoll schwarz gekleideter Gestalten bezieht Posten, prall gefüllte Stofftaschen am Ellbogen. „Flugblattverteilung Parkallee Richtung Uni“ steht auf dem angehefteten Zettel.

Bernd Hesse ist eine der Gestalten. Ein wenig unsicher noch balanciert der Immobilien-Makler und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer (ASU) über den mit feuchtem Laub bedeckten Grünstreifen zwischen den Fahrspuren. „Heute gehen Unternehmer auf die Straße“, wirbt er, während er mit der „ASU-Wirtschafts-Charta“ vor der Windschutzscheibe wedelt. Wer ein Flugblatt nimmt, kriegt einen Schoko-Riegel dazu. Auf dem Stern-Kreisel sorgen derweil Kollegen mit ihren Autos dafür, dass der Verkehr nur mäßig fließt.

Weniger Steuern, Subventionen, Staat und Gesetze, mehr Privatvorsorge, Wettbewerb und Bürgermitbestimmung lauten die sieben populären Forderungen der Bosse. „Jawoll“, brüllt ein Mann aus dem fahrenden Auto. „Wenn ich Zeit habe, mache ich beim nächsten Mal auch mit“, verspricht ein Mercedes-Fahrer.

Konstantin Zigmann steht am anderen Ende der Kreuzung. Auch er in Bügelfaltenhose; über Hemd und Jacket hat sich der selbstständige Grafik-Designer das ASU-T-Shirt gepellt. Die Reaktionen der Autofahrer seien „durchweg positiv“. Nur ein Krankenpfleger im roten Opel verweigert das Flugblatt.

Zigmann hat zuletzt vor 20 Jahren demonstriert – „gegen atomare Aufrüstung“, sagt er. „Absolut ungewohnt“ sei es, jetzt wieder auf der Straße zu stehen und Leute anzuquatschen: „Ich habe ziemlich unruhig geschlafen heute Nacht.“

„Jawoll“, brülltein Mann ausdem fahrendenAuto.

Für Sebastian Weil, selbstständiger Unternehmensberater aus Worpswede, ist es gar die erste Demo seines Lebens. Zusammen mit etwa 80 Gleichgesinnten, Mittelstands-Chefs, FDPlern und Jung-Unionisten zieht er am Nachmittag durch die Bremer Innenstadt, hält wacker das „Schröder, es reicht“-Plakat an der sauber gefräßten Stange in den Wind. Seinen Kunden hat er geraten, „private Vorsorge“ zu betreiben. Wenn jetzt Vermögen wieder besteuert wird, sagt er, „dann habe auch ich ein Problem.“

Auch ein älterer Mann mit schlohweißem Haar und knallgelbem FDP-Aufkleber auf der Brust läuft hinter dem „40.000 Pleiten in 2002“-Sarg her, trägt an der Wäscheleine mit den weißen Kitteln. „Alles Leichen, alles gestorbene Betriebe“, sagt er. Chopins Trauermarsch tönt aus den Lautsprechern. Als „Beginn eines breit angelegten Widerstandes“ sieht ASU-Vorsitzender Hesse die Demonstrationen in Bremen und anderen Städten. „Die Politiker zocken ab – die Unternehmer arbeiten“, verkündet er. Nur heute nicht. Armin Simon