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Archiv-Artikel

Solanaland hat keine Zukunft

Die EU hat in ein falsches Projekt investiert: Wichtiger als die neue Konföderation von Serbien und Montenegro sind der Status des Kosovo und die Verfassungslage Serbiens

Zwölf Jahre nach dem Aus Tito-Jugoslawiens hat Serbien noch immer nicht seineneue Form gefunden

Südosteuropa ist keine akute Krisenregion mehr – die Betonung liegt auf „akut“. Es finden keine aktiven Kampfhandlungen mehr statt. Dass andere Krisensymptome fortbestehen, ist überdeutlich. Der Balkan ist die weiche sicherheitspolitische Flanke Europas.

Die labilen Staatsstrukturen, die die organisierte Kriminalität gedeihen lassen, stellen eine ebenso große Bedrohung dar wie einst die postjugoslawischen Kriege. Sie werden EU-Europa langfristig beschäftigen, was auch den enormen Einsatz an Geld und Personal in den gegenwärtigen Friedensmissionen in der Region rechtfertigt. Neben der unbefriedigenden Daytoner Friedensordnung in Bosnien und dem eingefrorenen, aber ungelösten Konflikt in Mazedonien stellt die Umwandlung der Bundesrepublik Jugoslawien in die Union von Serbien und Montenegro ein Hauptproblem westlicher Balkanpolitik dar.

Im März 2002 hatten sich der serbische Premier Zoran Djindjić, der jugoslawische Präsident Vojislav Koštunica und der montenegrinische Präsident Milo Djukanović im Belgrader Abkommen auf eine neue Konföderation von Serbien und Montenegro geeinigt. Die EU-Außenministerien urteilten zufrieden, der Westen habe eine weitere staatliche Desintegration in Südosteuropa verhindert.

Dies erweist sich mehr und mehr als Trugbild. Der neue Staat wird eine hohle und tönerne Konstruktion sein. Nach zehn Monaten bösartigem Gezerre um die Umsetzung des Belgrader Abkommens, das noch einmal die völlig gegensätzlichen Vorstellungen der serbischen und montenegrinischen Eliten offenbarte, ist der Gesetzesvorschlag nun in den Republiksparlamenten zur Ratifizierung vorgelegt worden.

In Montenegro lehnt jedoch die Mehrheit der politischen Klasse und der Bevölkerung den neuen Staat ab. Premier Djukanović erzählt jedem, der es hören will: Er wird jetzt der neuen Konföderation zustimmen, in drei Jahren jedoch ein Referendum über die Unabhängigkeit Montenegros ausrufen. Die EU wird dies nicht verhindern, weil dieser Weg zur Sezession durch das Belgrader Abkommen völkerrechtlich möglich ist.

Weitaus bedenklicher: In Belgrad hat das Interesse an der Union abgenommen. Es ist in allen politischen Lagern üblich, das neue Staatswesen als „Solanija – Solanaland“ zu verspotten. Einzig Javier Solana, der EU-Kommissar für Außen- und Sicherheitspolitik, hatte als Vermittler durch seinen Einsatz das Belgrader Abkommen zustande gebracht. Die konföderalen Strukturen sind aus Belgrader Sicht eben viel zu schwach. Armee, Parlament, gemeinsamer Wirtschaftsraum bilden eine lose Klammer, aber kein machtpolitisches Zentrum mit Sitz in Belgrad, das alle serbischen Politiker der letzten Jahrzehnte präferierten. Auch die Aufgabe des mit starker Identifikation verbundenen Namens „Jugoslawien“ hat den ideellen Wert des neuen Staates für die serbische Seite geschmälert.

Wie groß die serbische Desillusionierung ist, zeigen unter anderem Umfragen: Die Zustimmung für das Staatsprojekt ist auf unter 50 Prozent gefallen.

Der neue Staat hat keine Aussicht auf Erfolg. Das ist eine ziemlich ernüchternde Feststellung, da die EU nach dem Sturz Slobodan Milošević’ im Oktober 2000 viel Prestige und Energie in dieses Projekt investiert hat. Was bedeutet dieses mögliche Scheitern? Von Montenegro gehen keine destabilisierenden Wirkungen in der Region aus. Ebenso wenig von einem selbstständigen Serbien. Ob das große Problem der nächsten Jahre, die organisierte Kriminalität in Südosteuropa, mit einer Union von „Serbien und Montenegro“ besser bekämpft wird, sei dahingestellt. Die Eliten sind so oder so in ihre Klientel- und Korruptionsnetzwerke eingebunden.

Stark davon berührt ist die Frage des Status Kosovos. Die Provinz ist Bestandteil Serbiens, nicht der Bundesrepublik Jugoslawien. Ein weiterer Staatszerfall zieht nicht automatisch die Unabhängigkeit Kosovos nach sich, verstärkt jedoch die Forderung danach bei den Kosovo-albanischen Führern. Alle westlichen Akteure sind sich darüber klar, dass die Statusfrage nicht mehr aufgeschoben werden kann. Der Zug in Richtung Unabhängigkeit ist aufgrund der totalen Abwesenheit serbischer staatlicher Institutionen im Kosovo und dem demokratischen Institutionenaufbau durch die UN-Mission nicht mehr lange aufzuhalten.

Allerdings haben die Kosovo-albanischen Politiker ein Vermittlungsproblem. Sie können den westlichen Politikern keine Agenda anbieten, wie sie die Unabhängigkeit gestalten wollen. Befragt man sie nach dem Ziel der Unabhängigkeit, erhält man unbestimmte Antworten. Ob Kosovo selbstständig sein, sich mit Albanien vereinigen oder ein Gravitationszentrum für alle Albaner des ehemaligen Jugoslawien werden soll, ist absolut unklar. Dabei handelt es sich nicht um ein politisches Manöver der Kosovo-albanischen Politiker. Sie wissen es wirklich nicht!

Die serbischen Politiker befinden sich, ob sie nun zum Koštunica- oder zum Djindjić-Lager zählen, in einer wenig beneidenswerten Situation. Der ungeklärte Status Kosovos behindert sie bei der Neuordnung des serbischen Staates. Die alte Milošević-Verfassung soll durch eine neue Konstitution ersetzt werden. Doch über welches Territorium verfügt dieser Staat überhaupt? Sollen sich die Belgrader Eliten überhaupt noch bemühen, Kosovo mit viel Aufwand in diesen Staat zu integrieren? Die Mehrheit der Kosovo-Bevölkerung, die Albaner, würden ihn ohnehin boykottieren.

In Montenegro lehnt die Mehrheit derpolitischen Klasse und der Bevölkerungden neuen Staat ab

Auch andere Fragen, wie im Vergleich zu Kosovo der Status der anderen Provinz, der Vojvodina, beschaffen sein soll, sind außerordentlich schwierig. Ist es eventuell besser, in der Vojvodina mehrere autonome Gebiete zu schaffen? Und wie soll Zentralserbien organisiert sein? Sicherlich dezentral und mit modernen Verwaltungsorganen. Aber in welcher Form? Auf diese brennenden Fragen gibt es keine Antworten.

Die wichtigste Auswirkung des Machtkampfes Djindjić–Koštunica ist, dass keine demokratische Institutionenbildung erfolgt. Sie können sich nicht auf eine neue serbische Verfassung einigen. In Serbien sind bereits Stimmen zu hören, die die Oktroyierung einer demokratischen Verfassung verlangen, quasi einen demokratischen Putsch.

Die EU hat in ein falsches Projekt investiert. Nicht der Erhalt des Bundes von Serbien und Montenegro ist das Problem. Serbien, historisch der zweitälteste Nationalstaat auf dem Balkan, hat zwölf Jahre nach dem Ende Tito-Jugoslawiens immer noch nicht seine neuen territorialen Grenzen und institutionellen Formen gefunden. Die EU sollte dringend die Ausarbeitung einer serbischen Verfassung unterstützen. Dies bedeutet, hinsichtlich Kosovos zu akzeptieren, was alle internationalen Akteure eigentlich stets verhindern wollten: die endgültige Unabhängigkeit der Provinz in ihren jetzigen Grenzen. Der Weg für die demokratische Neuordnung Serbiens würde damit jedoch frei gemacht. HEIKO HÄNSEL