piwik no script img

Archiv-Artikel

Die gut geübte Mechanik des Hasses

Die Liebe als Betriebsunfall: Katharina Thalbach hat „Romeo und Julia“ am Gorki-Theater wie eine nüchterne Historikerin inszeniert. Hart war das Leben und kurz in Zeiten von Pest und Fürstenmacht. Individuelle Entwürfe stören das Programm

von ESTHER SLEVOGT

Am schönsten sind Katharina Thalbachs Inszenierungen, wenn sie nichts als Theater sein wollen. Wenn sie mit diebischer Freude an den menschlichen Schwächen ihre Figuren derb überzeichnet und dann trotzdem weltweise Märchen von Macht und Ohnmacht, Liebe und Tod entstehen. „Romeo und Julia“ aus ihrer Hand am Maxim-Gorki-Theater: Das verhieß ihren Fans ein ähnlich starkes Stück wie ihr „Macbeth“ vor Jahren am Schiller-Theater.

Der Auftakt gibt Anlass zu schönsten Hoffnungen. Man blickt auf ein Postkartenpanorama von Verona, das Bühnenbildner Ezio Toffolutti als riesiges Renaissancefresko weit bis in den Zuschauerraum hineingezogen hatte. Wie in einem Adventskalender gehen gelegentlich kleine und größere Fenster auf und schön kostümierte Menschen erscheinen, die aussehen, als stammten sie aus den Gemälden von Botticelli. Zunächst aber taucht eine schnatternde, englische Touristengruppe auf und unterm roten Sonnenschirm erklärt eine schrille Reiseleiterin in reinstem Oxford-Englisch über den historischen Standort auf. Kurz darauf erscheint eine weitere Gruppe, diesmal eine deutsche. Während man darüber nachdenkt, wie sich aus dem rasenden Geplapper jetzt wohl Shakespeares Drama schält, fällt eine Touristin einfach um. Die anderen ziehen weiter.

Dann treten finstere Mönche auf und werfen den leblosen Körper auf einen Leiterwagen, wo schon andere Tote aufgestapelt sind. Pest in Verona! Jetzt kommt also Shakespeare. Dabei merkt man schnell, was Katharina Thalbach uns vorführen will. Eine gut geölte Gesellschaft nämlich, in der jeder das soziale Programm erfüllt, mit dem er gefüttert worden ist. Man hasst, liebt und stirbt, wie’s einem vorbestimmt ist. Fällt der Name „Montague“, verziehen die Capulets in geübter Mechanik die Gesichter zu Hassgrimassen. Doch die Balance stimmt, die Parteien halten sich in Schach.

Junge Männer, wie Romeo (Fabian Krüger), Mercutio (Philippe Besson), Tybalt (Frank Streffing) oder Benvolio (Norman Schenk), reden derb und drastisch vom Sex, prügeln, pinkeln oder duellieren sich. Gelegentlich wird wie aus Versehen gestorben. Ältere Männer üben mit geschwollenem Hals und wutrotem Kopf Macht aus. Ihre Töchter wie Julia (Heike Warmuth) werden mit dreizehn verheiratet. So kann man dann schon mit Ende zwanzig Großmutter sein. Wenn man denn Leben überlebt, was bei Julia bekanntlich nicht der Fall gewesen ist. Die Zeit ist knapp.

Für so etwas wie einen individuellen Entwurf reicht sie nicht. Er ist auch nicht vorgesehen, bis die Liebe Sand ins Getriebe streut. Die Maschine der Gesellschaft läuft heißt, und selbst die Balance des Hasses kommt aus dem Tritt. Katharina Thalbach lässt die Liebe fast aus Versehen geschehen: ein Betriebsunfall, der zufällig eine falsche soziale Programmierung zur Folge hat. Auf einem Fest der Capulets singt der linkische Romeo der kleinen Julia ein Liedchen vor. Schon liebt sie ihn. Wäre es nicht Romeo, sondern der für sie bestimmte Graf Paris (Thomas Bischoffsberger) gewesen, hätte sie sich in diesem Augenblick wahrscheinlich trotzdem verliebt.

So kommt die Tragödie in Gang, aber nie so richtig. Denn der Aufführung fehlt das Tempo, den Figuren eine tiefere Kontur. Alles bleibt burlesk. Die Amme (Jacqueline Macaulay) hat einen enormen Busen, der deutlich sichtbar unter ihrer Bluse schwappt. „Die Brust ist ihr Beruf!“, sagt schließlich Mercutio. Jedenfalls hat’s Thomas Brasch so übersetzt. Jede Menge Griffe in die Genitalien betonen das Triebgesteuerte der Männer, die so gesehen einen eher eindimensionalen Eindruck machen. Eine Ausnahme mag, berufsbedingt, Philipp Bessons hochfahrender Pater Lorenzo sein. Frauen haben es leichter mit dem Zeigen von Charakter und Format, besonders Anna Kubin als die mädchenhafte Furie Lady Capulet und Jacqueline Macaulay als Amme: zahnlos, aber herzlich. Das berühmte Liebespaar bleibt eher blass, und man versteht nie, was beide eigentlich aneinander finden. Vor der Vorstellung trat Intendant Volker Hesse vor den Vorhang und ließ wissen, Katharina Thalbach, die eigentlich die Rolle des Mercutio selbst übernehmen wollte, sei während der Endproben krank geworden. Vielleicht ist das eine Erklärung.

Maxim-Gorki-Theater, nächste Vorstellungen: 26. und 31. Januar