: Psychopillen vom Herrn Doktor
Arzt oder Ärztin? Das Geschlecht des behandelnden Arztes hat auch Einfluss auf Therapie und Diagnose. Sogar beider Verschreibung von Schmerzmitteln und Psychopharmaka spielt der Geschlechtsunterschied eine wichtige Rolle
Wenn der Patient zu seinem Arzt kommt, erwartet er eigentlich, dass er und sein Leiden im Mittelpunkt der Behandlung stehen. Doch wohl jeder hat schon einmal erfahren, dass sich Mediziner in ihren Behandlungstechniken bei ein und derselben Krankheit mitunter deutlich unterscheiden, dass also dabei auch persönliche Vorlieben eine Rolle spielen. Und diese Vorlieben zeigen, wie jetzt eine Studie am Berliner Universitätsklinikum „Benjamin Franklin“ herausgefunden hat, einen deutlichen Zusammenhang mit dem Geschlecht: Frauen arbeiten als Ärzte anders als Männer.
Durchgeführt wurde die Studie von den Psychologen Heide Glaesmer und Hans Christian Deter. Sie sichteten nicht nur die Literatur zu dem Thema, sondern auch das Therapie- und Verordnungsverhalten von 24 niedergelassenen Medizinern, die insgesamt über 11.000 Patienten betreuten.
Im Ergebnis zeigte sich, dass Ärztinnen schon beim Gespräch mit dem Kranken deutlich anders vorgehen als ihre männlichen Kollegen. „Sie transportieren mehr positive Inhalte“, so die beiden Forscher, „sind eher partnerschaftlich, stellen mehr Fragen und geben mehr Informationen.“ Außerdem haben sie mehr präventive Aspekte im Auge, sie interessieren sich also mehr für die Gesunderhaltung ihrer Patienten, während die männlichen Kollegen ihren Beruf eher als Reparaturbetrieb verstehen, der erst dann zum Einsatz kommt, wenn etwas kaputt ist.
Auch beim Ausstellen der Rezepte konstatieren die Wissenschaftler große Geschlechterunterschiede. So verordnen männliche Mediziner ihren Patienten deutlich mehr Schmerzmittel und Psychopharmaka. Wer als Patient zu einem Arzt geht, hat eine ungefähr um ein Drittel höhere Chance auf eine Schmerz- oder Psychopille, als wenn er zu einer Ärztin gegangen wäre.
Außerdem raten männliche Mediziner ihren Rheumapatienten beim Schmerzmittelkonsum zu höheren Dosierungen, während ihre Kolleginnen dabei häufiger unter den üblichen Dosierungsempfehlungen bleiben.
In einem Punkt sind sich die beiden Ärztegeschlechter allerdings einig. Dass sie nämlich die Psychopharmaka vorzugsweise den Frauen unter ihren Patienten verordnen, in dem festen Glauben, dass die nun einmal häufiger unter Ängsten und Depressionen leiden als Männer. Unter Experten ist jedoch umstritten, ob Frauen tatsächlich häufiger unter psychischen Störungen leiden oder aber nur von der Ärzteschaft häufiger in die Psycho-Ecke gestellt werden.
Insgesamt aber scheinen Ärztinnen in ihren Behandlungsstrategien „sanfter“ vorzugehen. Hierfür sprechen auch die Beobachtungen von Antonius Pollmann vom Zentralverband der Ärzte für Naturheilverfahren, der „in den Fortbildungskursen für Homöopathie einen relativ großen Anteil von Frauen“ ausgemacht hat. In anderen Alternativtechniken wie Kinesiologie oder traditioneller chinesischer Medizin ist hingegen kein sonderlicher Frauenüberhang zu beobachten.
Bleibt die Frage, warum sich Herr und Frau Doktor in ihrem Therapieverhalten so unterscheiden. Eine zentrale Rolle spielt sicherlich, dass Männer immer noch in ihrer Jugend auf das mutige Zupacken und schnelle Lösen von Problemen, Frauen hingegen aufs kuschelige Miteinander und Zuhören geeicht werden und diese grundsätzlichen Erlebnisunterschiede natürlich auch beim Medizinerberuf zum Tragen kommen.
Es bestehen allerdings Chancen, dass sich das bald ändern wird. Denn die Münchner Medizinische Wochenzeitschrift hat bereits einen „deutlichen Rollenwandel unter Ärztinnen und Ärzten“ ausgemacht. Allerdings merkt man diesen Wandel bislang lediglich daran, dass immer mehr Medizinerehen in die Brüche gehen – und ob ein vom Beziehungsfrust gebeutelter Arztehemann weniger Psychopillen verschreiben wird, muss bezweifelt werden. JÖRG ZITTLAU